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E-Crude-Produktion in Norwegen 30.04.2020

Blaues Öl

Synthetisches Rohöl aus nachhaltiger Wasserkraft – in Norwegen soll dieses Experiment gelingen. Im industriellen Herzen des Landes will das Start-up Nordic Blue Crude eine erste Produktionsstätte errichten und dafür CO2-Emissionen aus Industrieprozessen nutzen.

Text: Laurin Paschek | Fotografie: Dirk Lässig

Stark zerklüftet und durchzogen von Fjorden: Das macht Norwegens Westküste zum Naturwunder. Hinter der Küstenlinie erheben sich die von eiszeitlichen Gletschern bedeckten Berge auf 2.000 Meter über den Meeresspiegel, manche sogar auf nahezu 2.500 Meter. Doch während die höchsten Gebirgszüge Skandinaviens nach Nordwesten hin schroff abfallen, bilden sie nach Südosten weitläufige Hochflächen, die die Norweger »Fjells« nennen. Hier sammelt sich das abfließende Wasser in lang gezogenen Fjordseen, fließt durch Flüsse und Kanäle in tiefer gelegene Ebenen, sammelt sich dort erneut und gelangt schließlich an Norwegens Südostküste in den Skagerrak. Eine solche Topografie bietet geradezu ideale Bedingungen, um Strom aus Wasserkraft zu gewinnen. Die auf das ganze Land verteilten Wasserkraftwerke erzeugen mittlerweile 99 Prozent des norwegischen Strombedarfs.

Norwegen erzeugt nahezu hundert Prozent seines Strombedarfs aus Wasserkraft. Im Bild: das Kraftwerk Ulefoss.

Ende 2015 klingelt bei Gunnar Holen in Oslo das Telefon. Der Anrufer ist sein Studienfreund Rolf Bruknapp, der seit zwei Jahrzehnten in Norwegen Wasserkraftwerke aller Größenklassen errichtet. Aus den Medien hatte Bruknapp vom »Wunderdiesel« erfahren, synthetischem Dieselkraftstoff, der mit Hilfe von elektrischem Strom aus Wasser und Kohlenstoffdioxid gewonnen wird. Jetzt will er eine Firma gründen, die den E-Kraftstoff produziert, und sucht einen CEO. Holen, eigentlich Investmentbanker, sieht die Chance gekommen, noch einmal etwas ganz Neues zu starten. »Von Beginn an war uns klar, dass die Produktion synthetischer Kraftstoffe nur sinnvoll ist, wenn ausreichend regenerativ erzeugter Strom vorhanden ist«, sagt Holen heute. »Und das ist hier in Norwegen ja der Fall.« Das Potenzial übersteigt den Bedarf bei weitem, denn neben der Wasserkraft ist das Land auch ein guter Standort für Windkraftanlagen, vor allem jenseits der Küste von der Nordsee bis ins Europäische Nordmeer. Gunnar Holen sagt seinem Studienfreund zu. Sie gründen die Firma Nordic Blue Crude, um synthetisches Rohöl in großem Maßstab zu produzieren.

Gunnar Holen steht im Industriepark Herøya, der 1929 auf einer Insel der Kleinstadt Porsgrunn errichtet wurde – im industriellen Herzen Norwegens rund um den Frierfjord, 150 Kilometer südwestlich von Oslo. Er zeigt auf eine etwa 5.000 Quadratmeter große Fläche, auf der ab Mitte 2020 die erste Produktionsanlage von Nordic Blue Crude gebaut werden soll. »Wir haben uns viele Standorte in Norwegen angeschaut, aber dieser hier ist ideal«, sagt Holen. »Denn wir können in Herøya eine bestehende Infrastruktur nutzen.« Vor allem die Rohstoffe für den E-Kraftstoff sind sehr gut verfügbar: Wasser per Pipeline aus einem nahegelegenen See und regenerativ erzeugter Strom über eine leistungsstarke Leitung aus den Wasserkraftwerken im Hinterland. Das benötigte Kohlenstoffdioxid stellt eine traditionsreiche Düngemittelfabrik, die ebenfalls im Industriepark angesiedelt ist, direkt auf einem Nachbargrundstück bereit. Nicht zuletzt steht für den Abtransport der erzeugten Rohölprodukte – neben Kraftstoffen auch Wachse und Rohstoffe für die Kunststoffindustrie – ein großer Industriehafen zur Verfügung.

Mit dem Start-up, das derzeit gerade einmal eine Handvoll Mitarbeiter beschäftigt und noch in Oslo beheimatet ist, verfolgen Gunnar Holen und Rolf Bruknapp große Pläne. »In den vergangenen dreieinhalb Jahren haben wir das Geschäftsmodell und das technische Konzept definiert«, berichtet Holen. »Außerdem haben wir die technische Umsetzbarkeit gemeinsam mit der Trondheimer Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens und dem Ingenieurdienstleister Aker Solutions nachgewiesen.« Bis Ende 2021 will Nordic Blue Crude in Herøya bereits zehn Millionen Liter synthetischen Rohöls herstellen und die Produktionsmenge innerhalb von fünf Jahren auf 200 Millionen Liter (1,258 Millionen Barrel) jährlich verzwanzigfachen. Zum Vergleich: Die Erdölproduktion Norwegens belief sich im Jahr 2018 auf rund 1,84 Millionen Barrel – allerdings pro Tag. Insgesamt plant Holen, in Norwegen zehn solcher Fabriken zu errichten. Damit will er die gewünschten Skaleneffekte erreichen. Der Verkaufspreis des E-Kraftstoffs soll anfangs bei etwa zwei Euro pro Liter liegen und schrittweise sinken.

Auf die Kosten muss Nordic Blue Crude auch beim Errichten der Pilotanlage achten und wird daher zunächst auf bereits vorhandene Technologien und Rohstoffe zurückgreifen. Etwa beim CO2, das auf längere Sicht direkt aus der Luft gewonnen werden soll – zum Beispiel mit Technologie von Climeworks, eines Spin-offs der ETH Zürich. Doch die benachbarte Düngemittelfabrik verkauft das Kohlenstoffdioxid für 30 Euro die Tonne, während das Filtern aus der Luft gegenwärtig noch mit etwa 600 Euro pro Tonne zu Buche schlägt. Ein niedriger einstelliger CO2-Anteil soll dennoch schon zum Start direkt aus der Umgebungsluft gewonnen werden. »Um unabhängig zu sein, müssen wir auch diese Technologie erproben«, betont Holen. »Denn nicht überall ist industriell gewonnenes CO2 so gut verfügbar wie in Herøya.«

Es wird uns gelingen, da bin ich mir zu hundert Prozent sicher.

Auch bei der Spaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff setzt Nordic Blue Crude zunächst auf bewährte, alkalische Elektrolyseure. Der gewonnene Wasserstoff wird in der Produktionsanlage mit dem zugekauften CO2 unter Temperaturen von bis zu 1.000 °C zusammengeführt, um Kohlenstoffmonoxid (CO) zu gewinnen: In der sogenannten RWGS-Reaktion (Reversed Water-Gas Shift Reaction) verbinden sich CO2 und Wasserstoff (H2) zu CO und H2O, also Wasser. Das Kohlenstoffmonoxid (CO) wird anschließend mit weiteren Wasserstoffatomen (H2) zu einem Synthesegas verarbeitet, das dann im Fischer-Tropsch-Verfahren verflüssigt und durch Entzug des Sauerstoffs zu langen Kohlenwasserstoffketten – dem synthetischen Rohöl – geformt wird.

Das Konzept steht: Nordic Blue Crude-CEO Gunnar Holen arbeit derzeit vor allem an der Finanzierung der Pilotfabrik.

Auf einer 5.000 Quadratmeter großen Fläche soll in Herøya ab Mitte 2020 die erste Produktionsanlage für nordic Blue Crude gebaut werden.

Bis auf der Industrieinsel Herøya das »blue crude«, das »blaue Rohöl« aus Wasserkraft sprudelt, sind noch einige Herausforderungen zu bewältigen. »Wir greifen zwar auf bestehende Einzeltechnologien zurück, müssen sie aber in industriellem Maßstab zusammenbringen«, sagt Holen. Die größte Aufgabe liegt aber in der Finanzierung der Pilotfabrik. »Das wird uns die nächsten Monate beschäftigen«, kündigt der Investmentbanker an und ist an Zuversicht nicht zu übertreffen. »Es wird uns gelingen, da bin ich mir zu hundert Prozent sicher.«

31 Jahre Erfahrung im Investment Banking. Umfassende Erfahrungen im Bereich Corporate Finance, einschließlich Fundraising und M & A-Aktivitäten. Begann und beteiligte sich an einer Reihe von nationalen und internationalen Privatplatzierungen und IPOs.

Gründete und entwickelte CAR ASA. Ein Unternehmen, das sich von 2 Personen im Jahr 2003 auf 55 und von 0 auf 80 Millionen NOK Einnahmen im Jahr 2007 entwickelte.

Zuvor sowohl international als auch im Inland bestens bewerteter Investmentanalyst.

Master of Business and Economics

Nordic Blue Crude AS wird qualitativ hochwertige, kohlenstoffneutrale, synthetische Kraftstoffe und andere fossile Ersatzprodukte auf der Basis von Wasser, Kohlendioxid und erneuerbarer Energie produzieren. Nordic Blue Crude wird in Herøya, Porsgrunn, Norwegen, die weltweit erste kommerzielle Power-to-Liquid-Jetfuel-Anlage bauen.

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