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Ein Interview mit Dietmar Goericke 01.02.2022

Mitten in einer Zwillingstransformation

Das Ziel der Klimaneutralität steht für FVV-Geschäftsführer Dietmar Goericke im Zentrum der Gemeinschaftsforschung. Zu erreichen ist es nur durch CO2-neutrale Energieträger und effiziente Energiewandler. Dafür erweitert die FVV ihr Netzwerk und setzt auf moderne digitale Methoden wie den Einsatz Künstlicher Intelligenz.

Interview: Johannes Winterhagen

Herr Goericke, über das Ende des Verbrennungsmotors wird öffentlich diskutiert. Ist damit die Forschung an Verbrennungskraftmaschinen obsolet?

Man muss genauer hinschauen, bevor man so pauschale Äußerungen trifft. Je kleiner das Fahrzeug, desto wahrscheinlicher ist eine vollständige Elektrifizierung. Doch für viele Formen der Mobilität, für den breit gefächerten Einsatz von Motoren in Arbeitsmaschinen, aber auch in unserem Energiesystem sind chemische Energieträger auf Dauer unersetzlich. Um diese nutzen zu können, braucht es effiziente Energiewandler, also Motoren, Turbomaschinen und Brennstoffzellen, deren praxisnahe Erforschung wir organisieren.

Schlägt die Debatte also nicht auf die Arbeit der FVV durch?

Wenn man nur auf die nackten Zahlen schaut: Nein. Wir hatten 2020 die höchsten Forschungsausgaben in unserer mehr als 60-jährigen Geschichte. Und wir konnten in den letzten Jahren viele neue Mitglieder gewinnen, darunter zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen, die in Zeiten des Wandels von den Ergebnissen der Gemeinschaftsforschung profitieren wollen.

Wir bekennen uns klar zu den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens

Und wenn man auf die inhaltlichen Aspekte Ihrer Arbeit schaut?

Da dominiert naturgemäß mittlerweile die Forschung an klimaneutralen Energiewandlern. Wir bekennen uns klar zu den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens. Die können wir aber nur erreichen, wenn wir Entscheidungen über technische Wege wissenschaftsbasiert einschlagen. Deshalb haben wir die klassischen Forschungsvorhaben zu einzelnen Technologien ergänzt durch sogenannte Orientierungsstudien. In diesen Studien führen wir das Wissen vieler Mitgliedsunternehmen über einzelne Technologiepfade zusammen und identifizieren faktenbasiert den Handlungs- und Forschungsbedarf, etwa bei Wasserstofftechnologien oder synthetischen Kraftstoffen.

›Zwillingstransformation‹ im Kontext vorwettbewerblicher Gemeinschaftsforschung

Die Gemeinschaftsforschung schafft wissensbasierte Erkenntnisse, die jedem unserer Netzwerkpartner auf der ›Straße des Wandels‹ zur Verfügung stehen. Neben den Grundlagenthemen installiert die FVV Forschungsschwerpunkte, die der Erreichung der Transformationsziele Schub verschaffen.

Gegen den Einsatz synthetischer Kraftstoffe spricht vor allem deren geringe Effizienz. Warum sollte Forschung an Energiewandlern, die auf solche Kraftstoffe angewiesen sind, aus öffentlichen Mitteln bezahlt werden?

Dafür sprechen zwei Gründe: Erstens ist ein Energiesystem, das vollständig auf regenerativ erzeugten Strom basiert, auf große Energiespeicher angewiesen. Chemische  Energieträger bieten genau diese Speichermöglichkeit, und zwar ohne gewaltige Mengen an Rohstoffen einzusetzen. Und zweitens muss man immer die Effizienz der gesamten Kette von der Stromerzeugung bis hin zum Rad – oder auch Propeller – betrachten. Und da schlagen sich chemische Energieträger nicht schlecht. Sie können in Weltregionen erzeugt werden, in denen die Produktivität von Solaranlagen oder Windkraftanlagen um ein Vielfaches höher ist als bei uns. Richtig ist aber: Wir brauchen entlang der gesamten Kette effiziente Energiewandler. Und Effizienz ist bei uns seit jeher zentrales Forschungsthema.

Für unsere Mitglieder ist die Digitalisierung neben der Klimaneutralität eine weitere große Herausforderung.

Dabei ist allerdings die Wechselwirkung zwischen Energieträger und Energiewandler entscheidend.

Deswegen verbreitern wir die Basis der an der Gemeinschaftsforschung mitwirkenden Unternehmen ständig und freuen uns über Mitglieder aus der Mineralölwirtschaft, die ebenfalls nach Wegen weg von fossilen Energierohstoffen suchen. Synthetische Energieträger haben übrigens das Potenzial, die Effizienz von Verbrennungskraftmaschinen und Brennstoffzellen deutlich zu erhöhen. Das zeigt beispielsweise das laufende Vorhaben ›ICE 2030‹, wo wir an Fahrzeugantrieben mit einem Motorwirkungsgrad von 50 Prozent arbeiten.

Dabei handelt es sich allerdings um eine Hybridkonfiguration.

Richtig. Warum aber denn auch nicht? Hybridantriebe bieten nicht nur in Pkw, sondern auch in vielen anderen Anwendungen wie Fähren oder Baumaschinen große Chancen, weil sie die Rekuperation mechanischer Energie erlauben. Wir haben im vergangenen Jahr sogar explizit ein eigenes Hybridforschungsprogramm gestartet. Es ist an der Zeit, mit dem Gegeneinander von Elektroantrieb und Verbrennungsmotor aufzuhören. Verschiedene Energieträger und -wandler können sich in einem Energiesystem wunderbar ergänzen.

In der FVV findet sich ein bunter Strauß an kleinen und großen Mitgliedsunternehmen, von Pkw-Herstellern über Zulieferer für Brennstoffzellen bis zu Anbietern sehr großer Turbomaschinen für die Luft- oder Schifffahrt. Profitieren Ihre Mitglieder von dieser Vielfalt?

Meine Beobachtung ist: In dieser Zeit eines raschen Technologiewandels wächst das Interesse am wissenschaftlichen Austausch über die Grenzen einzelner Anwendungen hinweg. Natürlich unterscheiden sich die Lebensdaueranforderungen an eine Brennstoffzelle je nachdem, ob sie in einem Pkw oder einem Kreuzfahrtschiff eingesetzt werden. Aber viele Basistechnologien, ob im Materialbereich oder bei der Entwicklung von Simulationswerkzeugen sind eben doch übertragbar – oder zumindest lohnt sich der Blick, ob ine Übertragung möglich ist. Gemeinschaftsforschung lebt immer auch davon, herauszufinden, was definitiv nicht geht.

Neuerdings gibt es in der FVV auch Vorhaben, die sich mit Künstlicher Intelligenz beschäftigen. Ist das nur ein Modethema?

Überhaupt nicht! Schließlich befinden wir uns mitten in einer Zwillingstransformation: Für unsere Mitglieder ist die Digitalisierung neben der Klimaneutralität eine weitere große Herausforderung. In der vorwettbewerblichen Gemeinschaftsforschung der FVV haben wir uns von jeher mit der Entwicklung leistungsfähiger Simulationswerkzeuge beschäftigt. Damit tragen wir zu einem starken Mittelstand in Deutschland bei, der sich ansonsten entsprechende Methodenkompetenz nicht immer leisten könnte. Wenn nun neue, auf Verfahren der Künstlichen Intelligenz beruhende Rechenwerkzeuge entstehen, dann ist das nur eine konsequente Fortführung unserer bisherigen Arbeit. Zumal wir gute Voraussetzungen mitbringen: In unseren Vorhaben entstanden immer schon große Datenmengen, etwa zu Werkstoffeigenschaften, die vorwettbewerblich sind und daher von allen Mitgliedern genutzt werden können.

Wie sehr hat die Corona-Pandemie die Arbeit der FVV beeinträchtigt?

Es hat mich begeistert, wie gut die Arbeit in den Planungsgruppen trotz der Pandemie vorangeschritten ist. An den digitalen Arbeitskreissitzungen der einzelnen Vorhaben war die Beteiligung teilweise höher als je zuvor – auch weil keiner dafür reisen musste. Trotzdem freue ich mich sehr auf die erste Informationstagung als Präsenzveranstaltung m November. Ein Netzwerk wie das der FVV lebt eben nicht ausschließlich von organisierten Online-Treffen, sondern insbesondere vom spontanen und vertrauensvollen persönlichen Austausch.

Herr Goericke, herzlichen Dank für das Gespräch. //

Dietmar Goericke (geb. 1961) ist Diplomingenieur Luft- und Raumfahrttechnik der Technischen Universität Berlin (1987).

Er ist Geschäftsführer Forschung und Entwicklung des VDMA – Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e. V., verantwortlich für die vorwettbewerbliche gemeinsame Forschung von Industrie und Wissenschaft und die europäische Forschungspolitik des Verbandes. Seit 2000 ist Dietmar Goericke Geschäftsführer der FVV – Forschungsvereinigung Verbrennungskraftmaschinen e. V., des FKM – Forschungskuratorium Maschinenbau e. V., und der FLT – Forschungsvereinigung für Luft- und Trocknungstechnik (FLT) e. V.