zurück
Von der Zahnradflanke zur Wicklungsisolation 01.11.2021

Die Zuverlässigkeitsingenieurin

Die Ingenieurin Dr. Zeljana Beslic forscht an Schäden, um nachhaltigere Produkte zu ermöglichen.

Text: Johannes Winterhagen | Fotografie: Dirk Lässig

Ein einziges Grübchen an der Flanke eines einzelnen Zahns, eine einzige Fehlstelle an der Wicklung einer elektrischen Maschine //  Für das Auge kaum sichtbar, könnte ein solcher Defekt zum Totalausfall eines Fahrzeugs führen – und dadurch zu völligem Stillstand. Damit es dazu nicht kommt, muss man den Dingen auf den Grund gehen, sich mit Schadensmechanismen beschäftigen, langdauernde Messreihen durchführen, viel rechnen und auf Abhilfe sinnen. In dieser Welt fühlt sich Zeljana Beslic zuhause. Wenn die 33-jährige Maschinenbauerin über ihren Beruf spricht, sagt sie schon mal: »Ich als Zuverlässigkeitsingenieurin …«

Als zuverlässig hat Beslic sich in ihrem Werdegang erwiesen. Die kindliche Neugier, was sich denn hinter dem Schalthebel im Auto verbirgt und wie sich das Fahrzeug fortbewegt, wusste der Vater zu stillen. Der Mechaniker nahm sie, das einzige Kind, mit in die Werkstatt. Und so geht Beslic den Weg vieler Ingenieure, hat in der Schule Spaß an Mathe, Physik und Chemie und weiß schon mit dem Abitur, dass sie Maschinenbau studieren will. Zwar hat sie mit der Kunst eine zweite Leidenschaft, aber die soll Hobby bleiben.

Auch wenn Beslic in der Autometropole Stuttgart aufwächst, gestaltet sie ihr Studium offen. Das Interesse für Antriebe ist durchaus vorhanden, so hört sie die Verbrennungsmotor-Vorlesungen bei Professor Michael Bargende. Besonders angetan haben es ihr aber die Maschinenelemente und so entscheidet sie sich schließlich für den Schwerpunkt Konstruktionstechnik. Damit sie die Maschinenelemente auch in der industriellen Praxis kennenlernt, beginnt sie nach dem Vordiplom als Werkstudentin bei Bosch. Dort erstellt sie schließlich auch ihre Diplomarbeit: Sie soll ein Planetengetriebe für ein Abgaswärme-Rückgewinnungssystem experimentell untersuchen. Damals, im Jahr 2013, ist Beslic wie viele weitaus erfahrenere Ingenieure noch davon überzeugt, dass alternative Antriebe irgendwann interessant werden, es vorerst aber vor allem darum geht, Verbrennungsmotoren effizienter zu machen.

Nach dem Diplom will sich Beslic intensiver mit einer wissenschaftlichen Fragestellung auseinandersetzen. Sie bleibt am Institut für Maschinenelemente, unterrichtet junge Studenten, leitet das CAD-Labor und sucht nach einem Thema für ihre Promotion. »Ich habe erst einmal viel gelesen, denn ich wollte eine innovative und wissenschaftlich relevante Fragestellung bearbeiten«, blickt Beslic zurück.

Schließlich entscheidet sie sich für tribologische Schäden an Zahnrädern, sogenannte Grübchen-Schäden. Eine große Herausforderung besteht darin, dass man den Schaden erst einmal provozieren muss, um ihn analysieren zu können – das ist mit langdauernden Testreihen verbunden. Zudem muss der Schaden rechtzeitig erkannt werden, ohne die Tests laufend zu unterbrechen und die Zahnräder auszubauen. Beslic nutzt daher ein akustisches Messverfahren. »Man kann den Zustand einzelner Zähne zwar nicht mit dem menschlichen Ohr, aber durch eine entsprechende Frequenzanalyse nachvollziehen.« Basierend auf ihren Erkenntnissen entwickelt sie mit Unterstützung ihres Instituts anschließend ein mittlerweile zum Patent angemeldetes Verfahren, mit dem ein Getriebe so geschaltet werden kann, dass ein vorgeschädigter Zahn so gering wie möglich belastet wird.

... denn ich wollte eine innovative und wissenschaftlich relevante Fragestellung bearbeiten.

2018 ist die Arbeit weitgehend abgeschlossen, nun steht der Schritt ins Berufsleben an. Beslic entscheidet sich für SEG Automotive, einen aus Bosch hervorgegangenen Zulieferer für Startergeneratoren, der seinen Schwerpunkt mittlerweile auf elektrische Traktionsmotoren verschoben hat. »Mir war in der Zwischenzeit klar geworden, dass alternative Antriebe einen hohen Marktanteil gewinnen werden«, erläutert sie. »Ich will Teil dieses Veränderungsprozesses sein und genauso wie SEG Automotive, das ebenfalls seinen Ursprung in den konventionellen Antrieben hat, den Fokus stetig weiter auf die Elektrifizierung lenken.« So bringt sie ihre Expertise ein, um die Zuverlässigkeit elektrischer Antriebe zu erhöhen. Allerdings verändern sich Schadensmechanismen in elektrifizierten Antrieben, deshalb besteht ein nicht unwesentlicher Teil ihrer Arbeit derzeit darin, geeignete  alidierungsmethoden und Erprobungsstrategien zu entwickeln. Nur so ist es möglich, am Ende des Entwicklungsprozesses sicherzustellen, ob das Produkt alle Anforderungen erfüllt, die das lange Produktleben auf der Straße später mit sich bringt.

Beslic ist kaum mehr als zwei Monate bei SEG Automotive, da fragt ihr Abteilungsleiter Dr. Dieter Eppinger, der innerhalb der FVV die Planungsgruppe Gestaltfestigkeit und Tribologie leitet, per E-Mail, wer Ideen für neue FVV-Projekte habe. Die junge Ingenieurin antwortet mit dem Vorschlag, die Lebensdauer der Wicklungsisolation in elektrischen Maschinen zu untersuchen. Ein durchaus relevantes Thema, denn auch hier gilt: Ein minimaler Schaden an der Isolation könnte zu einem Kurzschluss und damit zum Totalausfall der E-Maschine führen. Beslic ist vor Ort, als die FVV-Planungsgruppe tagt und über den Vorschlag entscheidet. Die Mehrheit ist dafür, es gibt aber auch ablehnende Stimmen, weil es sich nicht um ein klassisches Verbrennungsmotor-Thema handelt. Seit März 2021 läuft das Vorhaben, Beslic hat die Projektkoordination selbst übernommen.

Auf die FVV blickt sie einerseits begeistert. Dass das Wissen aus der Gemeinschaftsforschung allen zur Verfügung steht, helfe insbesondere kleineren Unternehmen. Andererseits wünscht sie sich einen jüngeren ›Spirit‹ und mehr Aufgeschlossenheit für elektrische Antriebe. Dabei ist ihr wichtig zu betonen: »Ich halte gar nichts von einem Radikalumstieg auf Elektromobilität. Es ist sinnlos, Elektroautos mit Kohlestrom zu versorgen.« Deshalb sei es auch berechtigt, den konventionellen Triebstrang weiter zu optimieren, sowohl hinsichtlich des Verbrauchs als auch der Abgasemissionen.

Unabhängig von der Antriebsart gilt: Nachhaltig ist nur, was dauerhaft zuverlässig funktioniert. »Wir sollten immer auf den kompletten Produktlebenszyklus schauen«, zeigt sich Beslic überzeugt. Kein Wunder, dass die Ingenieurin von der 1883 fertiggestellten Brooklyn Bridge fasziniert ist. Während eines New York-Besuchs vor einigen Jahren bittet sie ihren heutigen Ehemann, am nächsten Tag besonders früh aufzustehen, um die Brücke im Morgenlicht zu malen.

Dr.-Ing. Zeljana Beslic, Jahrgang 1988, studierte Maschinenbau an der Universität Stuttgart und promovierte zur Modellierung der Schadensdegradation von Zahnradgrübchen bei Fahrzeuggetrieben. Seit 2018 arbeitet die Zuverlässigkeits- und Versuchsingenieurin bei SEG Automotive in Stuttgart.

Innerhalb der FVV engagiert sie sich als Koordinatorin des im März 2021 gestarteten Vorhabens ›Lebensdauer Wicklungsisolation: Die Entwicklung eines ganzheitlichen Lebensdauermodells für Wicklungsisolierungen von elektrischen Maschinen auf Basis der wirkenden Schadensmechanismen und ihrer unterschiedlichen Ausprägungen‹ (1441) in der Planungsgruppe 4 »Gestaltfestigkeit & Tribologie«.

Weiterführende Informationen

WEITERFÜHRENDE LINKS

DOWNLOADS