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Geduldig Räume für Neues eröffnen 01.09.2020

Kontinuität

Dr. Christian Weiskirch hat seit seiner Promotion im Rahmen eines FVV-Projekts Karriere gemacht. Heute koordiniert er die Antriebsstrangentwicklung eines großen Nutzfahrzeugkonzerns – und engagiert sich weiterhin in der Forschungsvereinigung.

Text: Johannes Winterhagen | Fotografie: Dirk Lässig

Geduldig Räume für Neues eröffnen

Manchmal gibt es den einen entscheidenden Moment, manchmal auch nicht. Dann entwickeln sich die Dinge allmählich und irgendwann geht man den nächsten Schritt mit großer Selbstverständlichkeit. Christian Weiskirch programmiert schon als Jugendlicher in Basic und Turbo Pascal, schraubt aber auch an Fahrrädern, Mopeds oder dem Rasenmäher der Familie. Wenn es an die Hauselektrik geht, lässt der Vater ihn machen, auch wenn die Haushauptsicherung mehrmals durchbrennt. Schon vor dem Abitur ist ihm klar, dass er Ingenieur werden will. Feinwerktechnik lautet sein Wunschfach, das er an der Technischen Universität Braunschweig belegt. Nach dem Vordiplom jobbt Christian Weiskirch als HiWi bei der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, er programmiert für einen Doktoranden und entwickelt in einer Studienarbeit einen optischen Mikrotaster, mit dem er die Form von Einspritzdüsenbohrungen vermessen soll – zum ersten Mal kommt er mit dem Selbstzünder in Berührung.

Als junger Ingenieur habe ich von der FVV sehr profitiert.

Im Hauptstudium rückt Weiskirch näher an den Motor, beschäftigt sich mit der Größenverteilung von Abgaspartikeln und entscheidet sich schließlich für eine Diplomarbeit, in der er Entflammungsaspekte der homogenen Dieselverbrennung untersucht. Eckart Müller, Leiter des Instituts, fördert den jungen Ingenieur, emeritiert aber 2003, als Weiskirch noch mitten in seinem Promotionsvorhaben steckt. Der Lehrstuhl bleibt bis zur Berufung von Peter Eilts im Jahr 2007 vakant. Weiskirch vertritt den kommissarisch berufenen Leiter und sammelt so parallel zu seiner Forschung erste Führungserfahrung. »Das war ein Sprung ins kalte Wasser«, stellt Weiskirch fest. Als Eilts schließlich kommt, steht das Institut gut da, die Zahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter hat sich ebenso wie das Drittmittelbudget verdoppelt.

Ein FVV-Projekt zur Emissionsminderung durch homogene Dieselverbrennung gibt den Rahmen für Weiskirchs Promotion vor. Es zeigt sich, dass für ein stabiles homogenes Brennverfahren in einem großen Lastbereich ein variables Verdichtungsverhältnis benötigt wird. Er ermuntert einen seiner studentischen Mitarbeiter, den Einzylinder-Forschungsmotor mit einem vollvariablen Ventiltrieb auszustatten – der Motor wird bis heute in anderen Forschungsprojekten eingesetzt. Weitere Entwicklungen nehmen in jenen Jahren ihren Anfang: Das FVV-Projekt ist in einen Pkw- und einen Nutzfahrzeug-Teil gegliedert. Durch die Diskussion in den Arbeitskreisen gewinnt Weiskirch einen Eindruck beider Branchen. »Die Nutzfahrzeug-Entwickler haben unsere Ergebnisse deutlich intensiver diskutiert«, erinnert er sich. »Dabei stand die pure Technik und nicht die Firmenpolitik im Vordergrund.« Vor allem aber wird Weiskirch zum ersten Mal Vater. Ihm wird klar, dass er als Familienvater nicht an der Uni bleiben will.

Ein Angebot von IAV, die damals ihren Nutzfahrzeugbereich aufbaut, kommt gerade zur richtigen Zeit. 2008 übernimmt Weiskirch die Teamleitung für die Applikation von Abgasreinigungssystemen für Nutzfahrzeuge. Zu diesem Zeitpunkt ist für schwere Lkw gerade die Schadstoffnorm Euro V eingeführt worden, Abgasreinigungssysteme auf Basis von SCR-Katalysatoren entwickeln allerdings auch Akteure, die noch ausschließlich auf Abgasrückführung setzen. Noch dauert es vier Jahre, bis die Schadstoffnorm Euro VI für schwere Lkw verpflichtend wird. Die Grenzwerte für Partikel sinken dann um zwei Drittel, für Stickoxide sogar um 80 Prozent. Weiskirch gewinnt mit seinen Kollegen ein wichtiges Euro-VI-Projekt bei MAN: Es gilt, die neuen großen Sechszylindermotoren für die nächste Stufe fit zu machen. Nach holprigem Anfang gedeiht eine gute Zusammenarbeit zwischen IAV und MAN, die schließlich in der Frage mündet, ob Weiskirch als Abteilungsleiter auf die Kundenseite wechseln will – ein Schritt, den er dann im Frühjahr 2012 vollzieht. In den folgenden Jahren ringt Weiskirch nicht nur mit weiteren Verschärfungen der Abgasnorm, sondern damit, dass die Motoren zwar immer sauberer werden, aber nur noch kleine Fortschritte beim Kraftstoffverbrauch machen. Weiskirch löst das Problem unter anderem durch die Einführung von hoch belastbaren Stahlkolben.

Auch zu seiner aktuellen Aufgabe kommt Weiskirch, ohne eine Bewerbung zu schreiben. Volkswagen führte 2015 die Marken MAN und Scania in einem integrierten Nutzfahrzeugkonzern zusammen. Der Aufsichtsrat forciert Kooperationsgespräche, unter anderem über den Nachfolgemotor für die Königsklasse, einen 13-Liter-Motor. Weiskirch ist von Anfang an Teil des Teams und findet mit den schwedischen Kollegen rasch eine Gesprächsebene, obwohl in beiden Häusern zunächst großes Misstrauen herrscht. »Wir haben stets einen rationalen Dialog unter Ingenieuren geführt und uns dabei gegenseitig ernst genommen.« Anfang 2018 wird Weiskirch ins ›CTO Office‹ der neuen TRATON GROUP berufen. Mit einer Handvoll Mitarbeiter koordiniert er die Entwicklungsaktivitäten für den gesamten Antriebsstrang – einschließlich neuer Themen wie Batterie und Brennstoffzelle. Für mehr als zwei Jahre arbeitet Weiskirch in Södertälje, einem Industriestädtchen südlichwestlich von Stockholm, Stammsitz der Marke Scania, bevor er nach Deutschland zurückkehrt.

Im CTO Office der TRATON GROUP koordiniert Christian Weiskirch mit einer Handvoll Mitarbeiter die Entwicklungsaktivitäten für den gesamten Antriebsstrang – einschließlich neuer Themen wie Batterie und Brennstoffzelle.

Im CTO Office der TRATON GROUP koordiniert Christian Weiskirch mit einer Handvoll Mitarbeiter die Entwicklungsaktivitäten für den gesamten Antriebsstrang – einschließlich neuer Themen wie Batterie und Brennstoffzelle.

In der FVV leitet Weiskirch die Planungsgruppe ›Selbstzündung‹. Spricht man ihn darauf an, warum er trotz seiner Karriere das Engagement in der FVV nicht delegiert, zögert er keine Sekunde mit seiner Antwort: »Ich habe als junger Ingenieur von der FVV sehr profitiert, da ist es doch ganz logisch, nun etwas zurückzugeben.« Es ist diese Kontinuität, vielleicht auch einfach Konsequenz, die Weiskirch in allen Lebensbereichen auszeichnet. Seine Frau, eine Architektin, lernte er 1994 kennen, im Sommer nach dem Abitur. Gemeinsam mit zwei Söhnen leben die beiden in Altdorf bei Nürnberg in einem Haus, das seine Frau selbst entworfen hat. Dass Kontinuität den Raum für Neues öffnet, lässt sich an dem innovativen Heizungssystem des Hauses ablesen: Wärme wird nicht mit fossilen Brennstoffen, sondern über Wärmepumpe, Wärmetauscher und einen Eisspeicher erzeugt. //

Dr.-Ing. Christian Weiskirch, Jahrgang 1975, koordiniert seit 2018 die Antriebsstrangentwicklung der TRATON GROUP. Zuvor verantwortete der Maschinenbauer, der an der Universität Braunschweig im Rahmen eines FVV-Projektes promovierte, bei MAN Truck & Bus als Vice-President die Weiterentwicklung der Schwerlastmotoren mit Blick auf Performance und Emissionen.

In der FVV hat er selbst viele Projekte initiiert. Er ist Mitglied im Ausschuss Forschung und leitet seit 2016 im Forschungsbereich MOTOREN die Planungsgruppe 3 »Selbstzündung«.