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Interview mit Dr. Markus Schwaderlapp 30.04.2024

Lösungsorientierte Forschung für künftige Antriebssysteme

Dr. Markus Schwaderlapp, Senior Vice President Forschung und Entwicklung bei der DEUTZ AG, ist seit kurzem neuer Vorsitzender der FVV. Im Interview erklärt er, wie die FVV die Defossilisierung von Straßenverkehr und Industrie beschleunigt und welche Rolle Wasserstoff als alternativer Energieträger dabei spielen kann.

Text: Richard Backhaus | Fotos: DEUTZ AG

Für die Amtszeit 2024/2025 haben Sie die Aufgabe des Vorstandsvorsitzenden der FVV übernommen. Was reizt Sie an der Arbeit für die FVV, welche Ziele verfolgen Sie für die nächsten zwei Jahre?

Die FVV hat in den vergangenen Jahren eine umfangreiche Transformation durchlaufen und steht nun für die Gesamtheit künftiger Antriebslösungen und Energiewandlungssysteme.

Ich sehe meine Aufgabe darin, die Arbeit in dieser Richtung weiterzuführen. Während die Situation im Bereich der Turbomaschinen trotz der derzeit angespannten Lage des Energiesystems und in der Luftfahrt relativ stabil ist, stehen die Zulieferer und Hersteller von Fahrzeugantrieben nach wie vor international vor großen Herausforderungen. Vermehrt überlegen Unternehmen, Verbrennungsmotoren länger als ursprünglich gedacht und entgegen ihrer eigentlichen Planung im Programm zu lassen und arbeiten auch an Konzepten mit alternativen CO2-neutralen Kraftstoffen. Ich sehe darin einen notwendigen Schritt zu einer lösungsorientierteren Herangehensweise und mehr Technologieoffenheit. Die FVV hat an diesem Prozess einen ganz wesentlichen Anteil und liefert mit den vorwettbewerblichen Forschungsprojekten die Grundlage für die Entwicklung der künftigen Antriebslösungen.

Ihr Arbeitgeber DEUTZ ist im Bereich Fahrzeugantriebe und mobile Arbeitsmaschinen aktiv, aber kein OEM im klassischen Sinn. Worin liegen die Chancen dieser breiteren Aufstellung für die zukünftige Entwicklung der FVV?

Ich habe Hochachtung vor Automobilherstellern, die bei ihren Produkten sehr in die Tiefe gehen und daher höchste Produktperfektion bieten können. Die technischen Inhalte der Produkte sind dabei häufig durch emotionale Faktoren geprägt, um die Zielkunden direkt anzusprechen. DEUTZ als ein Tier-1 Zulieferer kann die Produkte nicht über Emotionen, sondern nur durch Qualität und Eigenschaften wie Leistungsdichte, Verbrauch oder Emissionen verkaufen. Unsere unterschiedlichen Kundengruppen benötigen für ihre Anwendungen jeweils andere Antriebslösungen, damit sie ihr Geschäft weiterhin profitabel betreiben können. Uns war daher schon vor fünf Jahren klar, dass es künftig nicht nur batterieelektrische Antriebe geben kann. Beispielsweise kann ein Gabelstapler problemlos elektrifiziert werden, während das bei einem schweren Traktor nicht so einfach möglich ist. Denn dort wird eine hohe Leistung über lange Zeit abgerufen, das heißt die Maschine müsste für die benötigte Energie eine sehr große, schwere und vor allem teure Batterie mit sich führen. Technologieoffenheit für eine breite Segmentabdeckung ist die DNA von DEUTZ. Und das ist auch das Narrativ der FVV. Es gibt eben nicht den einen goldenen Weg, sondern viele Wege mit Verbrennungsmotor, Brennstoffzelle und batterieelektrischem Antrieb, mit denen die unterschiedlichen Anforderungen dann bestmöglich erfüllt werden können.

DEUTZ hat erhebliche Erfahrungen mit Wasserstoff-Verbrennungsmotoren gesammelt. Wie sehen Sie die Chancen für Off-Highway-Anwendungen, Nutzfahrzeuge und Pkw?

Wir sind 2020 in die Entwicklung und 2021 in die Serienentwicklung von Wasserstoffmotoren eingestiegen. Mit dem Wasserstoffmotor lässt sich bei Nutzfahrzeugen das bekannte Henne-Ei-Problem zwischen der Verfügbarkeit von Wasserstoffantrieben und dem Infrastrukturaufbau auflösen. Im Gegensatz zur Brennstoffzelle ist der Wasserstoffmotor kurzfristig serienreif und bezahlbar. Die Infrastruktur lässt sich dann später auch für die Brennstoffzelle nutzen. Im Off-highway-Segment gibt es Anwendungen, die naheliegend sind, das sind beispielsweise stationäre Anwendungen wie Generatoren oder Wärmepumpen. Dabei sind auch remote Anwendungen möglich, bei denen das gesamte Ökosystem in den Blick genommen wird. Man kann mit Windkraft oder Photovoltaik Strom produzieren, den überschüssigen Strom durch Elektrolyse in Wasserstoff umwandeln und mit diesem bei Dunkelflauten einen Generator betreiben. Interessant ist auch der Bereich der Schienenfahrzeuge. Brennstoffzellen sind für diese Anwendungen nach wie vor sehr komplex in der Handhabung. Beim Pkw hängt der Erfolg des Wasserstoffmotors von der Infrastruktur und insbesondere den politischen Vorgaben ab.

Kann das Konzept mit Wasserstoffmotor auch kostenseitig funktionieren?

Dazu muss der Wasserstoffpreis auf 4 bis 5 Euro pro Kilogramm sinken. Bei einem derzeitigen Wasserstoffpreis von über 10 Euro rechnet sich das nicht. Das wird dann funktionieren, wenn der Strom für die Elektrolyse preiswert hergestellt wird. Aber dafür ist eine Energiewirtschaft erforderlich, bei der der Strom in den wind- und sonnenreichen Regionen der Welt gewonnen und daraus vor Ort ein Energieträger wie Wasserstoff oder Ammoniak produziert wird. Dieser lässt sich dann per Pipeline oder auch per Schiff nach Europa transportieren und hier gegebenenfalls für die Nutzung weiterverarbeiten.

Sie gehen davon aus, dass Deutschland nicht energieautark werden kann?

Es ist weder physikalisch noch wirtschaftlich sinnvoll, Windräder in Deutschland aufzustellen und aus der geernteten Energie Wasserstoff zu gewinnen, wenn man in Patagonien für die gleiche Investition mit demselben Windrad viermal mehr Strom erzeugen und damit viermal mehr Wasserstoff herstellen kann. Das bedeutet nicht, dass es in Deutschland keine Windräder für den lokalen Strombedarf geben soll, aber für die Produktion von Wasserstoff ist das Konzept nicht zielführend. Dasselbe gilt auch für die Photovoltaik. Die in sonnen- und windreichen Weltregionen möglichen höheren Erntefaktoren kompensieren alle Umwandlungsverluste. Daher ist auch der oft erhobene Vorwurf nicht richtig, durch die mehrmalige Umwandlung der Energie würden zu hohe Verluste entstehen. Natürlich gibt es rein physikalisch diese Umwandlungsverluste, praktisch spielen sie allerdings keine Rolle. Die beste Lösung ist, in Deutschland Strom mit Windkraft oder Photovoltaik zu erzeugen und direkt ins Stromnetz einzuspeisen. Das ist aber eben nur der kleinere Teil einer Gesamtlösung. In Deutschland hat elektrischer Strom einen Anteil von 20 % am Endenergiebedarf, davon erzeugen wir heute rund 50 % nachhaltig. Das sind vom Gesamtbedarf aber nur 10 %. Diese Bilanzierung findet leider zu wenig öffentliche Beachtung.

Woher soll der regenerativ erzeugte Wasserstoff in großen Mengen kommen?

Im oben beschriebenen Ökosystem muss die große Menge an Wasserstoff beziehungsweise an Energieträgern zur Erzeugung von Wasserstoff aus dem Mittleren Osten, Afrika und Südamerika kommen. Die Frage ist, ob wir künftig nicht auf kohlenstoff- oder stickstoffbasierte regenerative Kraftstoffe umschwenken. Ammoniak hätte den Vorteil, dass der notwendige Stickstoff überall zur Verfügung steht. Für die Methanolsynthese wiederum spricht die sehr viel höhere Energiedichte. In mobilen Anwendungen ergeben sich durch die Verwendung von eFuels große Vorteile. Um die Energiewende zu beschleunigen, sollte die Politik ihr Ziel, also die schnellstmögliche Defossilisierung, vorgeben und die technische Ausgestaltung des Ökosystems der Industrie und den Kräften der Marktwirtschaft überlassen.

Antriebe und Energiesysteme von morgen: Dr. Markus Schwaderlapp setzt auf einen technologieoffenen Ansatz. Dazu gehört die klimaneutrale Weiterentwicklung des Verbrennungsmotors etwa durch den Einsatz von Wasserstoff oder synthetischen Kraftstoffen ebenso wie die Entwicklung alternativer Antriebsformen, wie zum Beispiel elektrifizierte Antriebsstränge.

Wie sehen robuste und effiziente Elektrifizierungslösungen für mobile Arbeitsmaschinen aus?

Die eingesetzte Technik ähnelt der von Pkw- und Nutzfahrzeugantrieben, sowohl hinsichtlich der Motoren und Batterien als auch der Spannungslage von 400 bis künftig über 800 Volt. Die Systementwicklung für mobile Maschinen lehnt sich daher an die ISO 26262 für die Funktionale Sicherheit von Fahrzeugen an. Wichtig sind unempfindliche Komponenten, insbesondere Batterien, und eine hohe mechanische Robustheit, etwa für Anwendungen unter extremen Bedingungen auf Baustellen oder in der Forstwirtschaft. Aber auch die Software muss betriebssicher funktionieren.

Welche Geräte können leicht elektrifiziert werden, welche weniger?

Der mögliche Einsatzbereich elektrifizierter mobiler Maschinen ist nach zwei Kriterien definiert, einerseits die Höhe des Energiebedarfs und andererseits die Entfernung zu einem Anschluss an das Stromnetz. Bei Gabelstaplern ist eine Elektrifizierung bis zu einer Leistung von 50 Kilowatt heute schon sinnvoll, gleiches gilt für Gepäcktransporter auf Flughäfen oder für Kleinbagger. Schwierig wird eine Kombination aus großer Maschine, hohem Leistungsbedarf und hoher Auslastung. Dann steigen Batteriegröße, Bauraumbedarf und Kosten unverhältnismäßig stark an. Als Faustformel kann derzeit gelten, dass Leistungen bis 100 Kilowatt durch Elektrifizierung umsetzbar sind, darüber wird es technisch aufwendiger und damit unwirtschaftlicher.

Die Umweltprobleme unserer Zeit lassen sich nur übergeordnet und global lösen. Wie kann die FVV die weltweite Vernetzung von Forschungsaktivitäten weiter ausbauen?

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Forschungs- und Entwicklungslandschaft zunehmend internationalisiert. Das gilt auch für die FVV, die immer mehr Mitglieder aus dem europäischen und außereuropäischen Ausland hinzugewinnt. Wegweisend für mich ist die Zusammenarbeit mit der japanischen Forschungsvereinigung AICE, einem Zusammenschluss der japanischen OEM, der Zulieferer und der Wissenschaft, der 2014 nach dem Vorbild der FVV gegründet wurde. Die FVV pflegt eine umfangreiche Zusammenarbeit mit der AICE. Das geht vom Know-how-Austausch, beispielsweise durch Vorträge japanischer Redner auf deutschen Tagungen und vice versa, bis hin zu Gemeinschaftsprojekten in Kooperation von deutschen und japanischen Wissenschaftlern. Das ist eine Blaupause für Kooperationen in anderen Ländern und Regionen. Ausbaupotenzial gibt es neben Asien und Europa beispielsweise in Amerika. Speziell die USA als weltbestimmender Markt mit Programmen wie dem Inflation Reduction Act ist ein Wachstumsfeld für die FVV und deren Mitglieder.

Ein anderes wichtiges Instrument der FVV sind die Metastudien, wie die Lebenszyklusanalysen im europäischen Mobilitätssektor und die darauf aufsetzenden Kraftstoffstudien. Durch diese Ausarbeitungen erhalten die FVV-Mitglieder Orientierung und Einblick in die Aktivitäten auf der ganzen Welt und in Bereiche, die oftmals noch nicht im Fokus waren.

Über die Zukunft des Industriestandorts Deutschland wird derzeit sehr viel diskutiert. Ist auch der Forschungsstandort Deutschland in Gefahr?

Ich hoffe nicht, dass es so ernst ist, aber in gewissen Bereichen werden wir heute offensichtlich schon von anderen Ländern wie China oder den USA herausgefordert. Ein Teil des Grundes, warum Deutschland in bestimmten Bereichen von anderen Regionen überholt wird, könnte in einer gewissen Zurückhaltung liegen, die wir uns bei der Erkundung neuer wissenschaftlicher Richtungen und Technologien auferlegen. Diese Vorsicht kann die Forschungsarbeit einschränken und somit die Geschwindigkeit des technologischen Fortschritts verlangsamen. So sind beispielsweise nur wenige junge Menschen heute noch bereit, ein Ingenieurstudium im Bereich Verbrennungskraftmaschinen zu beginnen, weil dieser Bereich nicht mehr populär ist. Dasselbe Phänomen hatten wir vor einigen Jahrzehnten bei der Kernforschung. Damit beschädigen wir den Forschungsstandort Deutschland. Hinzu kommen die Nachwirkungen des Dieselskandals, der der Verbrennungsmotorentechnologie als Antriebslösung international, aber vor allem auch national geschadet hat. Ein Vorteil des Forschungsstandorts Deutschland ist die traditionell enge Vernetzung zwischen Industrie und Hochschule, für die die FVV das beste Beispiel ist. Aus meiner Sicht sind wir hier weltweit nach wie vor Benchmark.

Hat sich der wissenschaftliche Austausch der Fachleute in den vergangenen Jahren geändert?

Als noch der klassische Verbrennungsmotor im Forschungs- und Entwicklungsfokus stand, erstreckte sich der Austausch, beispielsweise auf Tagungen und Kongressen, vor allem auf Detailoptimierungen. Das hat die Diskussion gefördert und erweiterte den technischen Horizont. Oftmals hat die vorgelagerte Forschung Ergebnisse hervorgebracht, die wichtige Impulse für die Entwicklung eigener Lösungen gegeben haben.

In den vergangenen Jahren haben wir sehr viel über künftige Konzepte gesprochen, seien es Antriebe, Energieträger oder ganze Ökosysteme. Das war wichtig, da wir für die Transformation in Systemen denken müssen.

Wir benötigen aber nach wie vor den fokussierten Blick auf die Detaillösungen. Nur so können wir bei den alternativen Antrieben den Entwicklungsstand erreichen, den wir bei Otto- und Dieselmotoren heute haben. Die FVV hat in diesem Zusammenhang eine unverzichtbare Rolle als Plattform, auf der konkurrierende Marktteilnehmer im Rahmen des Wettbewerbsrechts gemeinsam an der Optimierung der Antriebskomponenten forschen können.

Wie kann die FVV dem Problem des fehlenden Ingenieurnachwuchses begegnen, was macht DEUTZ in dieser Hinsicht?

Bei DEUTZ setzt die Nachwuchssuche und -förderung schon in der Schule an, etwa mit Schülerpraktika oder bei der Ausbildung. Wir führen derzeit duale Studiengänge ein, sodass die Verknüpfung mit Fachhochschulen und Hochschulen stärker wird und wir die Studierenden frühzeitig kennenlernen und fördern können. Hinzu kommen Master- und Bachelorarbeiten bei uns im Haus.

Die FVV betreibt durch die Vernetzung von Unternehmen und Hochschulen aktive Nachwuchsförderung. Junge Absolventinnen und Absolventen sowie Studierende werden in den Projekten mit Experten der Unternehmen zusammengebracht, lernen die industrieseitige Herangehensweise bei wissenschaftlichen Fragen kennen, kommen in entsprechende Arbeitskreise und mit internationalen Fachleuten in Kontakt. Auch profitieren sie von den Aufgabenstellungen, die ja aus der Industrie kommen und damit automatisch Relevanz für die Branche haben. Das ist ein großer Mehrwert, den die FVV für die deutsche Industrie und die Gesellschaft schafft und der meiner Meinung nach in der Öffentlichkeit und von der Politik noch stärker beachtet werden sollte. //

Dr.-Ing. Markus Schwaderlapp (geb. 1961) studierte an der RWTH Aachen Werkstoffwissenschaften. Anschließend promovierte er am Lehrstuhl für Verbrennungskraftmaschinen unter Prof. Dr. techn. Franz Pischinger zum Thema ›Keramische Bauteile im Motor / Entwicklung schadstoffarmer Brennverfahren für Erdgas-Motoren‹. 

Seine berufliche Laufbahn startete er 1990 bei dem Engineering-Dienstleister FEV GmbH in Aachen und war in verschiedenen leitenden Funktionen tätig: 
1990 – 1994 Leitung, Abteilung Strukturberechnung für Akustik und Schwingung 
1994 – 2002 Leitung, Sparte Konstruktion und Mechanik 
2002 – 2004 Geschäftsbereichsleiter, Europa 
2004 – 2014 Geschäftsführer, Engineering & Vertrieb Europa / Südamerika 
Im Januar 2015 übernahm er die Leitung der Forschung und Entwicklung der DEUTZ AG in Köln. 

Mitgliedschaften und Engagement 
2018 – 2023 Mitglied im Vorstand der Forschungsvereinigung FVV e.V. 
2023 – bis heute Vorsitzender des Vorstandes der Forschungsvereinigung FVV e.V.