Ressourceneffizienz senkt den
Material- und Energieverbrauch
und schützt Umwelt und Klima
Abgasführende Komponenten moderner Antriebs- und Energiewandlungssysteme sind im Betrieb hohen mechanischen und thermischen Belastungen ausgesetzt. Dadurch können Risse in den Bauteilen entstehen, die die Lebensdauer verkürzen. Forscher der TU Bergakademie Freiberg (TU BAF) und der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung in Berlin (BAM) haben eine Software entwickelt, mit der sich ein Ermüdungsrissverlauf numerisch simulieren und vorhersagen lässt. Neuartige Metall-Graphit-Verbundwerkstoffe ermöglichen höhere Einsatztemperaturen und damit einen effizienteren Betrieb von Maschinen, Motoren und Triebwerken. In einem Projekt der Industriellen Gemeinschaftsforschung erstellen Forscher der TU Dresden eine Prozessführungs- und Auslegungsstrategie zur allgemeinen methodischen Entwicklung dieser Werkstoffe.
Die FVV trägt mit ihren Projekten im Rahmen der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) dazu bei, dass Unternehmen ressourceneffizienter und kostensparender produzieren, sich Leistungsfähigkeit und Lebensdauer von Bauteilen und Komponenten erhöhen und Werkstoffe damit länger im Wirtschaftskreislauf verbleiben.
Inhalt
- Abschnitt 1 Mit Simulationen in die Zukunft sehen
- Abschnitt 2 Moderne Verbundwerkstoffe für effizientere Maschinen und Motoren
- Abschnitt 3 Fördergeber // Danksagung
- Abschnitt 4 Weiterführende Informationen
Mit Simulationen in die Zukunft sehen
Viele Bauteile im Motoren- und Turbinenbau, insbesondere heißgehende Komponenten von Turboladern, unterliegen im Betrieb zeitlich veränderlichen thermischen und mechanischen Belastungen. Das führt an exponierten Stellen zu einer thermomechanischen Ermüdung des Werkstoffs und zur Anrissbildung. In der Folge kann sich eine unterkritische Rissausbreitung bis hin zum Versagen anschließen.
Bislang fehlte die Möglichkeit vorherzusagen, wie sich ein detektierter Anriss verhält; etwa ob er sich weiter ausbreiten wird und wenn ja, in welche Richtung und mit welcher Geschwindigkeit. Dieser Umstand führt zu einer erheblichen Unsicherheit bei der rechnerischen Auslegung derart beanspruchter Bauteile. In der Praxis werden daher Komponenten mit detektierten Rissen prophylaktisch ausgetauscht, da man die weitere Rissentwicklung nicht ausreichend genau vorhersagen kann. Dieses Vorgehen ist ökologisch und ökonomisch kaum zu rechtfertigen, zumal in Turboladergehäusen Risse auftreten können, die für den Betrieb unproblematisch sind, da sie sich nach wenigen Millimetern nicht weiter ausbreiten. Es bedarf also bruchmechanischer Methoden, um das Risiko der weiteren Ausbreitung von detektierten Rissen zu bewerten und damit zu entscheiden, ob ein Bauteil weiterverwendet werden kann oder ausgetauscht werden muss.
Im Projekt ›TMF-Rissverlaufsberechnung für ATL-Heißteile‹ wurde an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg (TU BAF) ein leistungsfähiges Berechnungswerkzeug zur Finite-Elemente-Simulation und Vorhersage des Risswachstums in 3D-Bauteilen entwickelt.
Die Software ProCrackPlast basiert auf einem Code, der an der TU BAF zunächst für linear-elastische Bruchmechanik (ProCrack) entwickelt wurde. »Im Bereich der thermomechanischen Ermüdung gibt es jedoch zusätzliche Effekte, die man berücksichtigen muss, etwa eine Kriechneigung«, sagte Prof. Björn Kiefer vom Institut für Mechanik und Fluiddynamik (IMFD). Daher kommen in der erweiterten Simulationsumgebung auch inelastische Materialmodelle zum Einsatz, die zum Teil bereits im Rahmen eines vorangegangenen Projektes an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung in Berlin (BAM) entwickelt worden waren. Die für die Simulationssoftware benötigten experimentellen Daten zur Kalibrierung und Validierung der Modelle wurden in aufwendigen Versuchen an der BAM erhoben.
An gekerbten Flachzugproben wurde das Risswachstum im Temperaturbereich von 20 bis 700 Grad Celsius ermittelt und somit eine belastbare Datenbasis zur Quantifizierung des Rissfortschritts geschaffen. Die Forscher simulierten zudem alle Versuche mit einer Finite-Elemente-basierten Berechnungsprozedur.
ProCrackPlast lässt sich nun in der Entwicklung applikationsübergreifend anwenden, überall dort, wo Verbrennungskraftmaschinen mit Turboladern oder Turbinen mit Gehäusen aus dem typischen Eisengusswerkstoff Ni-Resist D-5S zum Einsatz kommen. Die Materialkennwerte sind in der Software hinterlegt, der Anwender erfasst die Geometrie des Bauteils, ergänzt die zu erwartenden mechanischen und thermischen Lastwechsel – und erhält als Ergebnis die Vorhersage, wie sich ein Riss wahrscheinlich verhalten wird.
Industriepartner Rolls-Royce Solutions koordinierte das Projekt. Dr. Andreas Koch, Senior Manager Strukturmechanik & Thermische Analysen, zeigte sich sehr zufrieden mit der entwickelten Simulationsumgebung:
Ingenieure können einige konstruktive Maßnahmen zur Minimierung der Rissentstehung treffen: »In der Designphase lassen sich die entsprechenden Bereiche mit geringerer thermomechanischer Beanspruchung auslegen, indem wir die Wandstärken an kritischen Stellen beanspruchungsgerecht dimensionieren«, erklärte Koch. Durch den Einsatz von ProCrackPlast sind also längere Wartungsintervalle möglich, bei tolerablen Rissen müssen teure Bauteile nicht mehr vorsorglich und zeitintensiv ausgetauscht werden.
Bei Rolls-Royce Solutions wurde die Berechnungs-Software bereits zur Auslegung eingesetzt und auf eine eigene Geometrie angewendet. Nun gilt es, Erfahrungen zu sammeln, sagte Koch. Die Forscher in Freiberg möchten künftig die Software und Methodik weiter verbessern, die Präzision der Modelle optimieren und weitere Referenzexperimente durchführen. Während im Projekt nur ein Werkstoff betrachtet wurde, sieht Professor Kiefer Bedarf, Tests mit anderen Werkstoffen durchzuführen und somit die Übertragbarkeit der Methodik zu validieren.
Die Software samt Nutzerhandbuch steht allen Unternehmen zur Verfügung, ebenso die identifizierten Materialparameter und Ermüdungsrissmodelle. In einem Workshop wurde die Anwendung demonstriert und Fragen beantwortet. Die Übertragung der Ergebnisse in die Industrie gestaltet sich unkompliziert: Fahrzeughersteller liefern die entsprechenden Spezifikationen an den Turboladerhersteller, auch Produzenten von Abgasanlagen oder Berechnungsdienstleister profitieren unmittelbar von der Software. »Bisher plant man eher konservativ, legt Bauteile mit dickeren Wandungen aus, die dann schwerer sind als nötig«, erklärte Koch. Je besser die Simulation, desto weniger konservativ lässt sich künftig bauen, das spart Gewicht, Material und Kosten.
Im Laufe des Projekts zeigten sich jedoch auch die Grenzen des Bewertungskonzepts. Problematisch ist unter anderem die Beschreibung von Kriechdehnungsakkumulation, Kriechschädigung und oxidationsinduzierter Versprödung, die vor allem bei hohen Temperaturen und langen Haltezeiten auftreten. Für diese Fälle wurden näherungsweise Ansätze vorgeschlagen, die aber noch mit entsprechenden Langzeitversuchen validiert werden müssten. »Auch den Einfluss von Wechselbeanspruchen aus Zug, Schub und Torsion (Mixed-Mode- Beanspruchung) auf das Ermüdungsrisswachstum konnten wir nicht ausreichend untersuchen, da gibt es durchaus Potenzial für ein späteres Projekt«, sagte Kiefer. Für solche Lastfälle sind in der ProCrackPlast-Software plausible Bruchhypothesen vorgesehen, die jedoch noch spezifiziert werden müssten.
Moderne Metall-Graphit- Verbundwerkstoffe für effizientere Maschinen und Motoren
Leistungs- und Effizienzsteigerungen im Maschinen- und Anlagenbau führen zu höheren Werkstoffeinsatztemperaturen. Insbesondere an Gleitlagerungen und Gleitringdichtungen sind aufgrund steigender Drehzahlen oder Systemdrücke auch höhere Betriebs- und Notlaufeigenschaften zu gewährleisten. Mit zunehmender Systemtemperatur tritt allerdings in den Reibflächen erhöhter Reibverschleiß auf, der für hohe Wartungs- und Instandhaltungskosten sorgt, zudem für verschleißbedingte Ausfallzeiten.
Gängige Gleitlager-Werkstoffe wie Polyimide, Bronze oder Weißmetall kommen bei höheren Temperaturen an ihre mechanischen Grenzen: Nachteil der häufig verwendeten Polymere ist die relativ geringe Dauergebrauchstemperatur von maximal 250 Grad Celsius. Ein sicherer und zuverlässiger Betrieb von Werkzeugmaschinen, Kompressoren, aber auch Verbrennungsmotoren und Flugzeugtriebwerken wird künftig nur möglich durch die Verwendung verschleiß- und hochtemperaturfester Materialien.
Im Projekt ›Methodische Entwicklung von Metall-Graphit-Verbundwerkstoffen für Gleitlageranwendungen im Hochtemperaturbereich (MeGrav I)‹ (FVV-Projektnummer 1330) wurden in einem Squeeze-Casting-Prozess Aluminium-oder Magnesium-Legierungen unter hohem Druck in die Poren von Graphit gepresst. Dieser metallinfiltrierte Graphit wird wegen der selbstschmierenden Eigenschaften, der Hochtemperaturstabilität sowie guter mechanischer Kennwerte als eine vielversprechende Alternative angesehen. Im Folgevorhaben ›Auslegung von Metall-Graphit-Verbunden (MeGrav II)‹ evaluieren René Füßel und sein Team vom Institut für Leichtbau und Kunststofftechnik (ILK) der Technischen Universität Dresden nun die Einflüsse von hohen Temperaturen auf das Material, zudem wird erstmalig eine Prozess-führungs- und Auslegungsstrategie zur Entwicklung von Metall-Graphit- Produkten erstellt. Als Industriepartner steuerte Rolls-Royce Deutschland neben dem Anforderungskatalog das Probenmaterial bei. Ein typischer Anwendungsbereich der Metall-Graphit- Verbundwerkstoffe seien etwa Gleitlager in Kompressoren, sagte Dr. Susanne Schrüfer von Rolls-Royce Deutschland:
In der Auslegungsphase sollte der Einfluss der Fertigungsparameter auf das finale Produkt untersucht werden. »Wir wollen für die Herstellungsparameter eine Variation und damit den Einfluss auf die Eigenschaften bestimmen. Damit lässt sich sagen: Wird das Material bei 670 bar infiltriert, wird es einen bestimmten Gleitreibkoeffizienten aufweisen«, erklärte Füßel. Die verschiedenen Infiltrationsgüten sollen hinsichtlich ihrer physikalischen Eigenschaften bewertet werden, um daraus eine entsprechende Qualitätsmethodik entwickeln zu können. Dazu wurden Halbzeuge mit unterschiedlichen Parametern aus dem Rohgraphit hergestellt.
Etwa 450 Reibversuche sowie 250 mechanische Tests, unter anderem Dreipunktbiegeversuche, hat das Team um René Füßel in den vergangenen Monaten durchgeführt, bei einer Zyklenzeit von etwa einem Tag pro Prüfling ein zeitraubender Prozess, trotz zweier parallel laufender Maschinen. Die Forschenden testeten von Raumtemperatur bis circa 300 Grad Celsius; bei unterschiedlichen Auslagerungszuständen auch bis zu 450 Grad Celsius.
Ziel der Modellbildung ist unter anderem, anhand der Parametervariationen im Prozess die Verschleißrate vorhersagen zu können. »Bei einem niedrigen Infiltrationsdruck sollte der Gleitreibkoeffizient niedriger sein, bei höheren Drücken entsprechend größer«, sagte Füßel. Damit seien künftig Vorhersagen zu Wartungsintervallen möglich: Wie lange können Maschinen in Betrieb sein, bevor sie gewartet werden und bevor Verschleißteile getauscht werden müssen?
Dabei zeichnet sich laut René Füßel bereits ab, dass durch den extrem robusten Fertigungsprozess keine signifikanten Unterschiede in den mechanischen oder tribologischen Eigenschaften zu erwarten sind. Selbst schwankende Fertigungsparameter hätten kaum Einfluss auf die Performance des Materials. »Für die Anwendung selbst ist das ein sehr gutes Ergebnis, weil wir immer die gleichbleibend hohe Qualität erreichen. Aber es macht die Modellierung schwieriger«, erklärte Füßel.
Anhand der gewonnenen Daten wird in den kommenden Monaten die Modellbildung vorangetrieben. Ohne dem Abschlussbericht vorgreifen zu wollen, merkte Füßel an: »Es gibt harte Einsatzgrenzen, aber innerhalb dieser Grenzen läuft das System äußerst stabil.« Während der Versuche zeigte sich, dass zwar die Verschleißrate des magnesium-infiltrierten Graphits geringer sei, allerdings ist Magnesium weniger wärmebeständig als Aluminium. Zudem neigt es wegen seiner Reaktivität bei sehr hohen Temperaturen von mehr als 500 Grad zur Spontanentzündung – ein Grund, warum einige Unternehmen Magnesium ungern verarbeiten wollen.
Von den Forschungsergebnissen profitieren Lagerhersteller, aber auch Maschinen- und Anlagenbauer sowie Materialzulieferer, die in einem Spritzguss- oder Druckgussverfahren die metallinfiltrierten Gleitlager und Dichtungen herstellen. Die bislang für die Produktion von Polymer- oder Graphit-Dichtungen genutzten Maschinen können weiterhin verwendet werden. Während die ersten Gleitlager und Dichtungen aus dem neuen Material laut Dr. Schrüfer im Maschinen- und Anlagenbau oder der Automobilindustrie relativ zeitnah zur Anwendung kommen könnten, wird die Übertragung der Ergebnisse in die Luftfahrtindustrie einige Jahre dauern:
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