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Namen legen Spuren 01.09.2020

Pioniergeist

Der Motorenentwickler Dr. André Casal Kulzer betritt gern Neuland und setzt die Tradition seiner Familie fort. Wir haben ihn im Porsche Museum in Stuttgart-Zuffenhausen neben weltberühmten Automobilikonen wie dem 356, 911 oder 917 und zahlreichen technischen Exponaten getroffen.

Text: Johannes Winterhagen | Fotografie: Dirk Lässig

Namen legen Spuren

Für André Casal Kulzer trifft das in besonderem Maß zu. Das bayrische ›Kulzer‹ führt zurück zu einer ehemaligen Motorenfabrik in Velden an der Vils, gegründet von seinem Ururgroßvater. ›Casal‹ hingegen verweist auf seine Mutter, Tochter eines portugiesischen Motorradfabrikanten. Dass die Eltern sich kennenlernen, ist das Resultat einer Pioniertat: Nach der Gründung von ›Metalurgia Casal‹ im Jahr 1964 kommen die Zweitaktmotoren zunächst von Zündapp, doch vor Ort wird dringend technisches Knowhow benötigt. Kulzers Vater ist einer von vier deutschen Ingenieuren, die Zündapp nach Aveiro entsendet, eine Industriestadt im Norden Portugals, das damals noch den Status eines Entwicklungslandes hat. Der Vater übernimmt in den 70er Jahren unterschiedliche Managementpositionen in der Zweirad-Industrie. Für das Kleinkind ist es völlig normal, auf dem Gelände von Motorradfabriken herumzustreifen. Gelegentlich entdeckt André ausgemusterte Mopeds und baut Teile aus. Wenn der viel arbeitende Vater frei hat, baut er mit seinem Sohn Modellflugzeuge. »Das war mein Lego«, erinnert sich Kulzer an die Zeit, in der sein erster großer Berufswunsch reifte:  Kampfpilot oder Astronaut zu werden.

Anfang der 80er Jahre öffnet sich Portugal wirtschaftlich zunehmend. Casal stellt längst nicht mehr nur Mopeds für den heimischen Markt her, sondern exportiert und investiert in die Entwicklung größerer Maschinen. Die Teilnahme am Rennsport ist zu einem wichtigen Vermarktungsinstrument geworden. Der Vater unterstützt auch die Entwicklung von Rennmotoren, unter anderem durch eine Drehschieber-Ventilsteuerung, die sehr hohe Drehzahlen und somit Leistungen ermöglicht. Seinen Sohn nimmt er immer wieder zu Wettbewerben mit und hält so die Leidenschaft für Motoren wach. Als André erkennen muss, dass er als Leistungsschwimmer zwar körperlich fit ist, aber mit Brille trotzdem nicht Kampfpilot werden kann, gibt es für ihn nur einen Ausweg: Motoren und Antriebe will er entwickeln, so wie der Vater und der Großvater, am liebsten im süddeutschen Raum. Nach einem sehr guten Abitur absolviert er das Maschinenbaustudium in Lissabon inklusive eines Erasmus-Stipendiums an der TU Braunschweig und entdeckt seine Liebe zur Thermodynamik, einem Thema, das viele Kommilitonen einfach nur so schnell wie möglich hinter sich lassen wollen. »Thermodynamik hat manchmal etwas Philosophisches«, sagt Kulzer noch heute.

Thermodynamik hat manchmal etwas Philosophisches.
André Casal Kulzer in der Werkstatt des Porsche-Museums, das die Klassikersammlung des Herstellers fahrbereit hält. Einzigartig an dieser Werkstatt ist, dass Besucher die Arbeit der Mechaniker durch eine Glasscheibe beobachten können.

Nach einer kurzen Orientierungsphase findet Kulzer schließlich eine Promotionsstelle bei Bosch. Das Thema der mit der Universität Stuttgart durchgeführten Arbeit ist anspruchsvoll: Kulzer sucht nach Wegen, einen Ottomotor direkt – also ohne elektrischen Anlasser – zu starten. Das kann nur funktionieren, wenn die Position der Kolben und entsprechende Füllung in den Zylindern durch kontrolliertes Abstellen des Motors bekannt ist und die Gemischbildung sehr exakt auf den Startvorgang abgestimmt wird. Zunächst entwickelt Kulzer ein Jahr lang an theoretischen Simulationsmodellen, die den Start in seiner Gesamtheit von Gemischbildung, Verbrennung bis Drehmomentbilanz nachbilden können. Da Prüfstandskapazität knapp und teuer ist, entwickelt Kulzer Sensoren und Software gleich an einem Volkswagen Lupo. »Der sprang beim ersten Direktstart-Versuch sofort an«, sagt Kulzer lächelnd. In der weiteren Ausarbeitung wird allerdings auch klar, dass der Direktstart vor allem bei warmgelaufenem Motor schwer zu realisieren ist. Trotzdem: Kulzers Arbeit stößt auf großes Interesse in der Branche, er darf als junger Mann bei fast allen bekannten Autoherstellern – oft direkt dem Entwicklungsvorstand – präsentieren. Auch wenn es das Auto ohne elektrische Starthilfe nicht in die Serie geschafft hat, sind die Forschungsergebnisse wichtig, denn sie erlauben den in modernen Hybridfahrzeugen kaum noch zu spürenden Wiederstart des Verbrennungsmotors. Kulzers Vorgesetzter bei Bosch sichert ihm schon ein Jahr vor der Promotion eine feste Stelle zu. 2003 beginnt der junge Ingenieur zunächst in der Forschung und arbeitet an neuen Brennverfahren. Dazu gehört auch die damals intensiv diskutierte  Kompressionszündung. »Ich hatte viel Freiheit und durfte immer wieder komplettes Neuland betreten«, erinnert sich Kulzer. Es ist auch die Zeit, in der er erstmals Kontakt zur Forschungsvereinigung FVV knüpft. Später wechselt er intern in die Vorentwicklung der Geschäftseinheit Benzinsysteme und ist eigentlich hochzufrieden.

Leistungsdichte und Performance sind für Porsche weiterhin wichtige Entwicklungsziele.

Trotzdem unterschreibt Kulzer 2012 bei Porsche. Ihn überzeugt sein damaliger Vorgesetzter mit dem Satz: »80 Prozent der Entwicklungen, an denen wir arbeiten, schaffen es in die Serie«. Fortan verantwortet er die Thermodynamik-Vorausentwicklung des Sportwagenherstellers. Es handelt sich um eine Querschnittsfunktion, Kulzer arbeitet genauso an elektrifizierten Antrieben wie an puren GT-Motoren. »Leistungsdichte und Performance sind für Porsche weiterhin wichtige Entwicklungsziele«, so der Experte. »Aber natürlich geht es bei der Arbeit an künftigen Antriebsgenerationen immer mehr darum, Emissionen drastisch zu reduzieren und den kompletten Produktlebenszyklus zu beachten.«

In seiner Freizeit restauriert André Kulzer ältere Motorräder.
Das weckt auch Kindheitserinnerungen an die Zeit, als sein Vater Rennmaschinen für Casal entwickelte.

Kulzer vertritt Porsche auch in zahlreichen FVV-Vorhaben, die diesen Spagat auflösen sollen. So initiiert er ein mittlerweile abgeschlossenes Projekt, in dem verschiedene Verfahren zur Wassereinspritzung untersucht werden – ein wichtiges Thema, um durch maximalen Wirkungsgrad die Emissionen im Hochlastbetrieb zu minimieren. Als zweiter Obmann steht er zudem in der Verantwortung für das Vorhaben › ICE2025+‹, in dem vier renommierte Universitäten gemeinsam daran arbeiten, den Wirkungsgrad von Ottomotoren zu steigern.

In die Zukunft schauen und Neues mit Pioniergeist anpacken, das ist für Casal Kulzer vielleicht das wichtigste Erbe seiner Familiengeschichte. Daran erinnern ihn auch zwei fahrbereite Casal-Serienmaschinen in seiner Garage. Die Wartung übernimmt er selbst, das ist Ehrensache. //

Dr.-Ing. André Casal Kulzer, Jahrgang 1975, ist seit 2012 für die Thermodynamik in der Antriebsvorausentwicklung von Porsche verantwortlich. Zuvor war der Maschinenbauer, der an der Universität Stuttgart promovierte, neun Jahre für Bosch tätig.

In der FVV engagiert er sich in zahlreichen Arbeitskreisen und initiiert immer wieder neue Forschungsvorhaben. Außerdem ist er Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat und Ausschuss Forschung. Seit Mai 2020 leitet Dr. Kulzer im Forschungsbereich MOTOREN die Planungsgruppe 2 »Fremdzündung«.

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