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Im Zeichen der Energiewende 15.07.2024

Moderne Modellierungstools für Forschung und Entwicklung emissionsarmer Gasturbinen

Gasturbinen müssen viele Jahre lang zuverlässig und sicher betrieben werden können, zudem sollen sie möglichst flexibel einsetzbar sein. Das gilt sowohl für den Leistungsbereich oder einen zyklischen Betrieb als auch für die Brennstoffzusammensetzung. Wasserstoff wird künftig eine Rolle spielen, um emissionsarme, kohlenstofffreie Stromerzeugungssysteme zu ermöglichen.

Text | Fotos: Mathias Heerwagen

Prof. Dr. Kilian Oberleithner vom Institut für Strömungsmechanik und Technische Akustik (ISTA) der Technischen Universität Berlin skizzierte auf dem FVV Transfer + Networking Event | Frühjahr 2024 in einem Impulsvortrag einen neuen Forschungsansatz, der die Vorhersage von thermoakustischen Instabilitäten und der Flammentransferfunktion ermöglichen soll. Dies ist wichtig, um emissionsarme Gasturbinen zu entwickeln. Wir haben ihn nach der Tagung in Berlin besucht.

Wesentliche Herausforderungen bei der Entwicklung von Gasturbinen sind thermoakustische Instabilitäten und die Vorhersage der Flammentransferfunktionen von Drall- und Strahlflammen. Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekt 1421 »Dynamik von Drall- und Strahlflammen II« sorgte nun für einen Sprung in Richtung eines ganzheitlichen Verständnisses der thermoakustischen Instabilitäten.

Siemens Energy konnte sich als Koordinator des Forschungsvorhabens zusammen mit weiteren führenden Gasturbinenherstellern als Industriepartner im Projekt mit der Erfahrung aus dem echten Ingenieursalltag einbringen: »Wir haben hunderte Gasturbinen im Feld und sehr viel Praxiserfahrung, daher haben wir eine konkrete Problemstellung formuliert und beim Entwurf der Projekt- und Hardware-Anforderungen unterstützt«, berichtet der Leiter des Projektbegleitenden Ausschusses Dr. Lukasz Panek und ergänzt: »Das ist ein sehr komplexes Thema, selbst für Leute vom Fach. Wir könnten diese Grundlagenforschung gar nicht alleine betreiben.« Es brauche viel Zeit und Personal, der Aufwand ist für ein Industrieunternehmen, das Produkte verkaufen muss, nicht zu leisten. Die Wissenschaftler an den Universitäten dagegen können in die Tiefe gehen und die Grundlagen verstehen, das sei nötig für die weitere Forschung und Entwicklung.

Um das komplexe Thema greifbar zu machen, lädt Professor Kilian Oberleithner ein zum Rundgang durchs Institut für Strömungsmechanik und Technische Akustik in Berlin. Er ist der wissenschaftliche Leiter des Forschungsvorhabens. Durch die Kellergänge, vorbei an einem Wandtelefon noch mit Wählscheibe, geht es zu verschiedenen Prüfständen, die gerade umgebaut werden. »Je nach Projekt werden etwa zwei Messkampagnen pro Jahr gefahren, bei denen der Prüfstand einige Tage läuft. Die meiste Arbeit findet am Schreibtisch statt, denn anschließend werten wir die gesammelten Daten aus und das kann Monate dauern«, erklärt Oberleithner.

Schall beeinflusst die Verbrennung

Während der Tests herrscht in den kleinen Prüfstands-Räumen großer Lärm, und damit lässt sich erklären, was thermische Instabilitäten sind: Eine Flamme erzeugt in der Brennkammer Schall, der von den Wänden der Brennkammer reflektiert wird – und so wiederum die Flamme stört und für Verbrennungsinstabilitäten sorgt. Während manche Frequenzen kaum Reaktionen hervorrufen, wird die Flamme vor allem von tiefen Frequenzen stark beeinflusst.

Auf dem Prüfstand untersuchen die Forscher, wie Flammen bei verschiedenen Frequenzen und Betriebspunktenreagieren. »Die Wechselwirkung zwischen der Flamme und dem akustischen Feld in der Brennkammer kann zu großen Druckpulsationen führen, die sehr schwer vorherzusagen sind«, erklärt Oberleithner. Des Weiteren führt eine Flammeninstabilität zu Bereichen, in denen die Verbrennung unvollständig abläuft, was höhere Emissionen verursacht. Die Wechselwirkung der Flamme mit den Schallwellen lässt sich mit einer Flammentransferfunktion (FTF) beschreiben und in ein akustisches Modell der Brennkammer integrieren. Das wiederum liefert ein Modell, das die Stabilität der gesamten Gasturbine vorhersagbar macht.

Flammentransferfunktion vorhersagen

Das FVV-Forschungsprojekt zielte unter anderem darauf ab, künftig in einer frühen Entwicklungsphase vorhersagen zu können, ob eine Flamme bei bestimmten Betriebspunkten instabil ist oder nicht. Bisher wurde die FTF in Experimenten gemessen oder mittels numerischer Simulation berechnet. Nun wurde ein neuer Ansatz verfolgt: Es werden Modelle entwickelt, die die Flammentransferfunktion vorhersagen sollen; Basis dafür sind physikalische Erhaltungsgleichungen (Impuls, Masse, Energie) die um statistische Mittelwerte linearisiert werden. Diese Mittelwerte stammen aus Simulationen oder Experimenten wie dem Vorgängerprojekt 1358 »Dynamik von Drall- und Strahlflammen I«.

Neu ist der multiphysikalische Ansatz, der verschiedene Daten der Akustik, Thermodynamik und Verbrennung in einem holistischen Modell vereint, mit dem sich die FTF berechnen lässt. Der Ansatz basiert auf linearen Gleichungen, mit denen sich Ursache und Wirkung umkehren lassen – dieses Inverse Design bietet großes Potenzial, da anhand des Modells ersichtlich ist, welche Details des Brennkammerdesigns die Instabilität verursachen. Denn wenn Ingenieure erst nach dem Bau einer Gasturbine bei Tests feststellen, bei welchen Betriebspunkten die Flamme instabil wird, sind extrem teure Iterationen die Folge. Die Flammentransferfunktion muss für jeden neuen Brenner ermittelt werden, die Daten werden anschließend in ein Modell überführt, das alle anderen Bauteile einer Gasturbine mit abbildet – ein enormer Aufwand.

Vorab können Ingenieure die Geometrie der Brennkammer ändern, die Treibstoffeindüsung anpassen, auch die thermischen Bedingungen lassen sich ändern, indem man anders kühlt oder heizt. »Es ist sehr schwierig, solche komplexen Systeme zu optimieren. Turbulente Strömungen hängen sehr stark von den Anfangs- und Randbedingungen ab; ändern Ingenieure an einer Stelle eine Kleinigkeit, kann das große Auswirkungen auf das gesamte System haben«, erklärt Kilian Oberleithner die Herausforderungen. Noch komplizierter wird es, wenn künftig mehr Wasserstoff verbrannt werden soll.

Wasserstoff ändert alles

Das Streben nach einer Reduzierung der CO₂-Emissionen bringt mehr Dynamik in die Forschung und Entwicklung. Auch das Thema Wasserstoff als Erdgasersatz treibt die Innovationsbereitschaft an, gilt das Gas doch als nachhaltiger Energieträger, wenn es mit Grünstrom produziert wurde. Das Problem: »Fügt man dem Erdgas nur 20 Volumenprozent Wasserstoff hinzu, wird der CO₂-Ausstoß nicht um 20 Prozent reduziert. Man muss schon sehr hohe Wasserstoffbeimischungen verbrennen, um den Ausstoß effizient zu reduzieren«, erklärt Oberleithner.

Wasserstoffflammen verhalten sich jedoch völlig anders; das Gas brennt deutlich schneller als Methan, die Flammengeschwindigkeit ist höher, zudem brennt die Flamme an anderer Stelle – all das führt zu einer komplett anderen Flammentransferfunktion. »Alle bisherigen Vorhersagen funktionieren mit Wasserstoff nicht mehr verlässlich. Wenn nun Wasserstoff statt Erdgas in der Turbine verbrannt wird, fängt sie vielleicht an zu schwingen, was vorher nicht der Fall war«, sagt Kilian Oberleithner. Zudem sei die verlässliche Messung der FTF durch die Druckabhängigkeit von Wasserstoffflammen extrem schwierig.

Ein weiteres Problem: Wegen der hohen Reaktivität besteht das Risiko eines gefährlichen Flammenrückschlags. Um eine sichere Wasserstoffverbrennung zu gewährleisten, müssen die Forscher den Flammenrückschlag verstehen und wenn nötig wirksame Gegenmaßnahmen entwickeln. Dies soll im geplanten Folgeprojekt »Wasserstoff-Flammenrückschlag (flasHH, T1723)« geschehen.
 


Oberleithner führt in den schallarmen Raum, auch dort wird gerade an einem Brenner in der Mitte des Raumes gearbeitet. Ist der Brenner in Betrieb, sind um ihn herum halbkreisförmig mehrere Mikrofone angeordnet, die den Verbrennungslärm messen. Das Thema Thermoakustik wird sowohl am ISTA in Berlin bearbeitet als auch an der Technischen Universität München in der Professur Thermofluiddynamik. Mit dem Team der TU München um Professor Wolfgang Polifke besteht eine enge Kooperation: »Unser Team in Berlin kommt eher aus der Strömungsmechanik, die Gruppe von Professor Polifke eher von der Thermoakustik, daher haben wir uns bei dem Projekt ideal ergänzt«, erklärt Oberleithner. Während in Berlin in dem vergangenen Projekt hauptsächlich an Strahlflammen geforscht wurde, beschäftigten sich die Kollegen in München mit Drall-stabilisierten Flammen.

Durch das Projekt haben wir unsere Vorhersagemodelle erweitert und die thermoakustischen Modelle verbessern können. Das ist Gold wert.

Ziel eines jeden FVV-Projekts ist der Transfer der Forschungsergebnisse in die Praxis. Mit Siemens Energy, MTU Aero Engines, Rolls-Royce und GE waren Industriepartner an Bord, die von den Ergebnissen profitieren. »Durch das Projekt haben wir unsere Vorhersagemodelle erweitert und die thermoakustischen Modelle verbessern können. Das ist Gold wert«, freut sich er Leiter des Projektbegleitenden Ausschusses Dr. Lukasz Panek. Gemeinsam mit Professor Oberleithner wurde bereits ein weiteres Projekt angestoßen – die gute Zusammenarbeit setzt sich fort.

Lukasz Panek erklärt, warum es dennoch nicht jedes an einer Universität entwickelte Tool auch dauerhaft in die Industrie schafft: »Solche Tools haben ein ›Leben‹, man muss sie betreuen und weiterentwickeln, und das wird sehr unterschätzt. Dafür braucht man Personal, das oft nicht mehr vorhanden ist, wenn das Projekt endet.« Sinnvoll sei aber, bestimmte Features in eine bestehende, kommerzielle Software zu übernehmen. Denn für die Industrie sei es manchmal leichter, eine kommerzielle Software zu verwenden, für die es dauerhaften Support gibt. //

Seit 2018 leitet Prof. Dr.-Ing. Kilian Oberleithner das Fachgebiet Dynamik instabiler Strömungen am Institut für Strömungsmechanik und Technische Akustik (ISTA) der Technischen Universität Berlin. Er schloss seine Doktorarbeit im Jahr 2012 unter der gemeinsamen Leitung von Prof. Oliver Paschereit der TU Berlin und Prof. Israel Wygnanski der University of Arizona ab. Nach einem Post Doc im Labor von Prof. Julio Soria an der Monash University Melbourne übernahm er die Leitung einer Forschergruppe an der TU Berlin.

Seine Forschungsgebiete konzentrieren sich auf die Entstehung von Strömungsinstabilitäten und kohärenten Strukturen in komplexen thermofluiddynamischen turbulenten Strömungen und der Entwicklung von Analyse- und Kontrollmethoden. Er verfolgt einen interdisziplinären Ansatz und kombiniert datengetriebene und analytische Methoden basierend auf experimentellen und numerischen Daten. Übergeordnetes Ziel seiner Arbeit ist die Übertragung neuester Ergebnisse der Grundlagenforschung auf industrierelevante Problemstellungen aus den Gebieten der Windkraft, Gasturbinenverbrennung und Wasserkraft.