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Optionen für eine klimaneutrale Mobilität im Jahr 2050 30.04.2020

Was wäre wenn?

Der Straßenverkehr soll in von fossilen Kraftstoffen unabhängig werden. Wie geht das und was kostet es? Mit der auf drei Szenarien basierenden Studie „Defossilisierung des Transportsektors“ hat die Forschungsvereinigung Verbrennungskraftmaschinen (FVV) die Grundlage für eine fundierte Diskussion geschaffen.

Text: Johannes Winterhagen

Damit die globale Durchschnittstemperatur bis zum Ende des 21. Jahrhunderts um maximal zwei Grad Celsius steigt, steht der Menschheit nach aktuellem Stand der Wissenschaft ein Budget von rund 1.100 Milliarden Tonnen CO2* zur Verfügung, das noch in die Atmosphäre gelangen darf – nicht viel angesichts einer aktuellen Jahresemission von mehr als 40 Milliarden Tonnen. Der derzeit noch fast vollständig von fossilen Energie-Rohstoffen abhängige Verkehrssektor steht damit vor einer großen Herausforderung: Er soll weiterhin Wohlstand ermöglichen, muss gleichzeitig aber in relativ kurzer Zeit klimaneutral werden.

Ein Ziel, drei Wege

Auf absehbare Zeit steht als klimaneutraler Energieträger vor allem aus Sonne und Windkraft gewonnener Strom zur Verfügung. Er kann technisch auf drei Pfaden im Straßenverkehr eingesetzt werden:

  • Der Strom wird über eine Lade-Infrastruktur verteilt, in Akkus direkt im Fahrzeug gespeichert und von einem Elektroantrieb in Bewegungsenergie gewandelt.
  • Per Elektrolyse wird aus dem Strom Wasserstoff erzeugt, der an Bord des Fahrzeugs in einer Brennstoffzelle wiederum Strom für den Elektroantrieb erzeugt.
  • Der Wasserstoff wird durch chemische Weiterverarbeitung mit Kohlenstoff angereichert. So entstehen gasförmige oder flüssige Kraftstoffe, die in Verbrennungskraftmaschinen genutzt werden.

In der Studie „Defossilisierung des Straßenverkehrs“ hat ein Arbeitskreis der FVV die drei technisch realisierbaren Pfade unter dem Gesichtspunkt der zu erwartenden volkswirtschaftlichen Kosten untersucht. Um die ingenieurwissenschaftlichen Grundlagen für diese Kosten – etwa die Wirkungsgrade von Antrieben oder mögliche Lasten im Stromnetz – exakt zu berechnen, waren zeitweise mehr als 40 Experten aus verschiedenen Branchen beteiligt. Um die Ergebnisse vergleichbar zu halten, entschied sich der Arbeitskreis dafür, ausschließlich Szenarien zu untersuchen, in denen jeweils ein einzelner Energieträger 100 Prozent des Bedarfs abdeckt. Die im Straßenverkehr benötigte Menge an mechanischer Energie – also der Energie am Rad – wurde mit 143 Terrawattstunden pro Jahr in allen drei Szenarien konstant gehalten.

  • Energieketten für klimaneutrale Mobilität
  • Der elektrische Weg

    Keine Überraschung: Die direkte Nutzung elektrischer Energie ermöglicht den höchsten Wirkungsgrad. Deshalb müssen pro Jahr nur zwischen 249 und 325 Terrawattstunden Strom erzeugt werden, um die gewohnte Mobilität zu erhalten. Das entspricht dem durchschnittlichen Jahresertrag von 11.000 bis 15.000 Offshore-Windkraftanlagen der 5-Megawatt-Klasse in der Nordsee. Allerdings ist dabei die für das Heizen des Innenraums benötigte Energie – sie entsteht beim Verbrennungsmotor als Abwärme – nicht berücksichtigt. Außerdem gehen die Experten im FVV-Arbeitskreis davon aus, dass die Verfügbarkeit von Ladestrom in sogenannten „Dunkelflauten“ (Zeiten ohne Sonneneinstrahlung und Wind) nur durch Rückverstromung nachhaltig erzeugter Energieträger (zum Beispiel E-Methan im Gaskraftwerk) klimaneutral sichergestellt werden kann.

    Der volkswirtschaftliche Investitionsbedarf für ein zu 100 Prozent elektrisches Szenario wird durch die Infrastruktur für die Stromverteilung und das Laden bestimmt. Für die Verteilnetze ist die Frage zentral, inwieweit zeitlich gesteuertes Laden den Netzausbau kompensieren kann. In Summe beträgt der Investitionsbedarf für den Pkw-Verkehr zwischen 0 und 77 Milliarden Euro. Hinzu kommen die Kosten für die benötigten Wechselstrom-Ladepunkte zuhause und am Arbeitsplatz sowie für die Schnellladestationen an den Fernstraßen. Für den Lkw-Verkehr gehen die Experten von einer hybriden Lösung aus, die Oberleitungen auf den Autobahnen und leistungsfähige Akkus für alle anderen Strecken kombiniert. Die dafür benötigte Infrastruktur kostet bis zu 21 Milliarden Euro.

  • Der Wasserstoff-Weg

    Je größer, desto besser der Wirkungsgrad. Das gilt nicht nur für Motoren, sondern auch für die Elektrolyse-Anlagen, in denen Sonnen und Windstrom für die Wasserstoffherstellung genutzt wird. Dennoch wurde neben der großtechnischen Herstellung in der Studie auch eine dezentrale Wasserstofferzeugungsstruktur betrachtet, bei der „Transportkosten“ allenfalls durch den Ausbau der Stromnetze anfallen. Dabei zeigte sich zunächst, dass der Wirkungsgradvorteil der zentralen Erzeugung signifikant ist: Der Strombedarf beträgt 502 bis 574 Terrawattstunden, während er in einer dezentralen Struktur auf bis zu 703 Terrawattstunden ansteigen kann. Hinzu kommt, dass die dezentrale Erzeugung eines entsprechenden Ausbaus der Stromnetze benötigt, der bis zum 90 Milliarden Euro kosten kann.

    Zwischen 5.000 und 10.000 Wasserstofftankstellen mit jeweils acht Zapfpunkten sollten nach Ansicht der Experten reichen, um in Deutschland eine flächendeckende Mobilität mit Brennstoffzellenfahrzeugen zu ermöglichen. Für eine einzelne Tankstelle gewohnter Kapazität mit acht Zapfpunkten und der Möglichkeit mindestens sechs Fahrzeuge pro Stunde und Zapfpunkt zu betanken, ist mit Investitionskosten von mehr als drei Millionen Euro zu rechnen.

  • Der Weg über E-Kraftstoffe

    Den einen E-Kraftstoff gibt es nicht. Da mehrere Verfahren zur Verfügung stehen, um regenerativ erzeugten Wasserstoff mit Kohlenstoff anzureichern, haben die Experten des FVV-Arbeitskreises insgesamt sieben Kraftstoffe in acht Szenarien untersucht. Für den Gesamtwirkungsgrad wichtig ist über das Herstellverfahren hinaus die Frage, auf welchem Weg der Kohlenstoff gewonnen wird. Langfristig ist dafür in einer klimaneutral wirtschaftenden Welt ausschließlich die Abscheidung aus der Luft denkbar, was zusätzlichen Energieaufwand und Mehrkosten verursacht. In einer Übergangszeit kommt allerdings auch die Nutzung von CO2 in Frage, das aus Industrieprozessen stammt. Die Studie zeigt, dass die Produktion von synthetischem Methan auf diesem Weg mit einem Wirkungsgrad von 65 Prozent erfolgen kann. Den schlechtesten Gesamtwirkungsgrad weist die Produktion von OME mit 31 Prozent aus, wenn sie mit einer CO2-Abscheidung aus der Luft gekoppelt wird. Damit ergibt sich im Bestfall ein Bedarf an zusätzlicher Stromerzeugung von 625 Terrawattstunden, das ist der 2,5-fache Wert des Strombedarfs im 100-Prozent elektrischen Szenario.

    Auf die energetische Bilanz von E-Kraftstoffen hat der Verbrennungsmotor als Energiewandler entscheidenden Einfluss. In der Studie wurde der Kraftstoffverbrauch der besten aktuellen Pkw- und Lkw-Motoren zugrunde gelegt. Weiteres Verbesserungspotenzial – etwa durch die „Zumischung“ elektrischen Stroms in hybriden Antriebssträngen – ist hingegen nicht berücksichtigt. 

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass E-Kraftstoffe trotz der ungünstigeren Wirkungsgrade in der Energiekette wettbewerbsfähig sein können.

Navigationshilfe

In der Realität sind 100-Prozent-Szenarien weder sinnvoll noch wünschenswert. Die von der FVV-Studie bereitgestellten, ingenieurwissenschaftlich fundierten Ergebnisse geben jedoch verschiedene Anhaltspunkte für die Gestaltung künftiger Energie- und Verkehrspolitik sowie der zugehörigen Forschungsförderung. Zu den wichtigsten Anregungen der Studie gehören:

  • 1. Kostengleichstand zwischen den Energieträgern

    Legt man jeweils das günstigste Szenario zugrunde, so herrscht bei den streckenbezogenen Mobilitätkosten nahezu Gleichstand, sofern Kostenparität zwischen Pkw mit Verbrennungsmotor (Diesel), batterie-elektrischem Antrieb und Brennstoffzellen zu erreichen ist. So betragen die Minimalkosten im Elektroszenario 29,4 Cent pro Kilometer, während Wasserstoff im Bestfall mit 29,9 Cent pro Kilometer zu Buche schlägt. Als günstigster E-Kraftstoff kommt synthetisches Methan auf 28,4 Cent pro Kilometer.

  • 2. Anschaffungskosten dominieren die Gesamtkosten

    Aus Käufersicht entscheiden allein die Vollkosten, die viele in der Studie nicht berücksichtigte Faktoren – etwa Steuern und Versicherungsbeiträge – enthalten. Bei üblicher Abschreibung dominieren die Anschaffungskosten und nicht der Preis für den Energieträger die Vollkosten. Die Kosten für den Auf- und Ausbau der Infrastruktur sind, umgerechnet auf den einzelnen Nutzer, bei der Nutzung von E-Kraftstoffen fast zu vernachlässigen, nicht allerdings bei der Nutzung von batterieelelektrischen Fahrzeugen.

  • 3. Erhebliche Investitionen sind notwendig

    Aus volkswirtschaftlicher Sicht sind allerdings erhebliche Investitionen notwendig. Sie schwanken zwischen 270 Milliarden Euro für das günstigste Szenario (E-Methan) und betragen mindestens 360 Milliarden Euro für 100 % Elektro sowie mindestens 380 Milliarden Euro für 100 % Wasserstoff. Die Kostenberechnung bezieht sich auf das Jahr 2050, am Anfang wird es deutlich teurer. Die Risiken ist für das Wasserstoffszenario mit dezentraler Erzeugung am höchsten.

  • 4. Technologieoffene Forschung ist sinnvoll

    Die an der Studie beteiligten Experten haben Kosten und Wirkungsgrade anhand heute verfügbarer Technologien berechnet. Es zeigte sich während der Arbeit jedoch, dass in einigen Bereichen erhebliches Weiterentwicklungspotenzial besteht – etwa bei dem Wirkungsgrad einer elektrolytischen Wasserstofferzeugung unter schwankender Stromlast. Da sich aller Wahrscheinlichkeit nach ein volkswirtschaftliches Kostenoptimum nur durch Mischszenarien ergibt, erscheint eine technologieoffene Forschungsförderung sinnvoll.

  • 5. Gesetzgebung sollte technologieneutral erfolgen

    Der Schlüssel für die Entwicklung von Energiepfaden für ein weitgehend treibhausgasneutrales und umweltfreundliches Verkehrssystem liegt nach Ansicht der Experten in der Energieerzeugung, nicht im Fahrzeug. Auf der Suche nach dem besten Antriebsmix, mit dem individuelle Mobilitätsbedürfnisse im Personen- und Güterverkehr erfüllt werden können, sind technologieneutrale Rahmenbedingungen notwendig. Daher sollte die Gesetzgebung in Deutschland und Europa der Industrie genügend Raum für vielfältige Innovationen lassen.

1 | Forschungsvereinigung Verbrennungskraftmaschinen (FVV): Energiepfade für den Straßenverkehr der Zukunft: Optionen für eine klimaneutrale Mobilität im Jahr 2050 (Kurzfassung | Informationspapier). Frankfurt am Main, 2018

2 | Forschungsvereinigung Verbrennungskraftmaschinen (FVV): Defossilisierung des Transportsektors - Optionen und Voraussetzungen in Deutschland (Langfassung | Expertenpapier). Heft R586, Frankfurt am Main, 2018

Bis zum Jahr 2050 soll der Straßenverkehr nahezu klimaneutral werden. Dies kann nur gelingen, wenn erneuerbare Energie im Verkehrssektor eingesetzt wird. Vor diesem Hintergrund hat ein Arbeitskreis der Forschungsvereinigung Verbrennungskraftmaschinen (FVV) verschiedene Energiepfade analysiert. In der so entstandenen Studie wird der Einsatz von Elektrizität, Wasserstoff und synthetischen E-Kraftstoffen als Energieträger im Straßenverkehr sowohl unter technischen als auch wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet.