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Werkstoffforschung als Schlüssel zur Energiewende 05.12.2024

Projektgruppe W10 
55 Jahre anwendungsorientierte Werkstoffforschung für die Energieindustrie

Zur Auslegung und Lebensdauerbewertung von Hochtemperaturbauteilen beispielsweise für die Anwendung in Dampfturbinen für die Kraftwerksindustrie müssen die Eigenschaften der verwendeten Werkstoffe unter anwendungsnahen Bedingungen bekannt sein.
Seit mehr als fünf Jahrzehnten koordiniert die Forschungsvereinigung für warmfeste Stähle und Hochtemperaturwerkstoffe (FVWHT) Projekte zur Erforschung des Werkstoffverhaltens unter zeitlich veränderlicher Beanspruchung.
Gebündelt sind die Aktivitäten in der Projektgruppe W10 ›Hochtemperaturverhalten von Werkstoffen unter veränderlicher Beanspruchung‹, in der die FVWHT zusammen mit der FVV praxisorientiert an metallischen Werkstoffen für die Energieindustrie forscht.

Foto: Rotor einer Dampfturbine // Quelle: GE Vernova

Die Energiewende stellt einen bedeutenden Wandel in der Energieerzeugung und -nutzung dar, in der fossile Energieträger und Kernenergie nach und nach durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Damit schlagen Deutschland und Europa in den Sektoren Wärme und Strom einen nachhaltigen und klimaneutralen Kurs ein. Doch mit dem steigenden Anteil erneuerbarer Energien treten neue Herausforderungen auf, die innovative Lösungen erfordern. Besonders thermische Kraftwerke, die zunehmend als Reservekapazität fungieren, stehen vor der Aufgabe, Versorgungssicherheit trotz flexibler Betriebsweisen zu gewährleisten.

Hier kommt die Werkstoffforschung ins Spiel. Sie liefert die Grundlagen für neue Technologien, die diesen Anforderungen gerecht werden. Die Erkenntnisse der Projektgruppe W10 schaffen die Basis für effizientere und langlebigere Turbinen und damit für eine stabile und nachhaltige Energieversorgung.

Anlässlich des 55-jährigen Bestehens der Projektgruppe W10 wurde auf dem letzten FVV Transfer + Networking Event | Herbst 2024 die Jubiläumsbroschüre »Forschung am Hochtemperaturverhalten warmfester Stähle – Anwendungsorientierte Werkstoffforschung für die Energieindustrie (R610 | 2024)« vorgestellt. Sie bietet einen umfassenden Überblick über die Geschichte, Erfolge und zukünftigen Herausforderungen der Forschung am Hochtemperaturverhalten von Werkstoffen unter veränderlicher Beanspruchung.

Die Broschüre richtet sich an Fachleute aus Industrie und Wissenschaft und beleuchtet nicht nur die technischen Details der Projekte, sondern auch die enge Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Partnern. Besonders wertvoll sind die detaillierten Einblicke in die langjährige Arbeit der Projektgruppe, die für die Energiewende und die Weiterentwicklung der Werkstofftechnik wegweisend ist.

Werkstoffforschung als Antrieb der Innovation

Die Ergebnisse der W10 sind nicht nur für neue Turbinen von Bedeutung, sondern tragen auch zur Lebensdauerverlängerung bestehender Anlagen bei. Mit den gewonnenen Daten können Kraftwerksbetreiber besser abschätzen, welche Bauteile unter welchen Bedingungen noch sicher betrieben werden können. Dies spart nicht nur Kosten, sondern reduziert auch den Materialeinsatz und leistet so einen Beitrag zur Ressourcenschonung.

Da Standards wie DIN-, EN- oder ISO-Normen für viele Werkstoffe nicht greifen, füllt die W10 eine entscheidende Lücke. Ihre Forschung definiert die Rahmenbedingungen, die von Industriepartnern genutzt werden, um innovative Werkstoffe für die Energiewende zu entwickeln.

Die Bedeutung dieser Arbeit geht jedoch über die Energiewirtschaft hinaus. Sie zeigt, wie gemeinschaftliche Forschung – getragen von Wissenschaft, Industrie und öffentlicher Förderung – die technologische Entwicklung vorantreibt und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands stärkt.

Die Arbeit der Projektgruppe umfasst zahlreiche erfolgreiche Kooperationen mit führenden Forschungsinstitutionen und Unternehmen. Dazu gehören:

Dickwandige Gehäuse (1061): Zur Schädigungsentwicklung mehrachsig und anisotherm hochbeanspruchter dickwandiger Gehäuse moderner thermischer Maschinen und Anlagen.
Fördergeber: AVIF (A 269). Projektkoordination: Dr.-Ing. Martin Reigl (GE Vernova). Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr.-Ing. Matthias Oechsner (Technische Universität Darmstadt Zentrum für Konstruktionswerkstoffe (MPA‐IfW)).

Probabilistische Lebensdauerbewertung (1181): Probabilistische Lebensdauerbewertung von Hochtemperaturbauteilen unter Kriechermüdung.
Fördergeber: AVIF (A292)). Projektkoordination: Dipl.-Ing. Henning Almstedt (Siemens Energy Global). Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr.-Ing. Matthias Oechsner (Technische Universität Darmstadt Zentrum für Konstruktionswerkstoffe (MPA‐IfW)).

LPBF Hochtemperaturlebensdauer (1401): Entwicklung von Konzepten zur Ermittlung von Kennwerten zur Bewertung von additivgefertigten Komponenten für den Hochtemperatureinsatz
Fördergeber: BMWK/IGF (01IF21220N). Projektkoordination: Dr.-Ing. Roland Herzog (MAN Energy Solutions SE). Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr.-Ing. Stefan Weihe (Universität Stuttgart Institut für Materialprüfung Werkstoffkunde und Festigkeitslehre), Prof. Dr.-Ing. Matthias Oechsner (Technische Universität Darmstadt Zentrum für Konstruktionswerkstoffe (MPA‐IfW)).

Integrierte Kriechermüdungsbewertung (1518): Verallgemeinerung, Erweiterung und Verifikation von Ansätzen zur Kriechermüdungs-Schädigungsberechnung für anwendungsnahe Beanspruchungszyklen und Integration in FEM-Programme.
Fördergeber: 
BMWK/IGF (01IF23197N). Projektkoordination: Dr.-Ing. Martin Reigl (GE Vernova). Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr.-Ing. Matthias Oechsner (Technische Universität Darmstadt Zentrum für Konstruktionswerkstoffe (MPA‐IfW)), Prof. Dr. rer. nat. Peter Gumbsch (Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM), Prof. Dr.-Ing. Stefan Weihe (Universität Stuttgart Institut für Materialprüfung Werkstoffkunde und Festigkeitslehre).

Diese Projekte zeigen eindrucksvoll, wie praxisnahe Forschung zu greifbaren Innovationen führt – von effizienteren Turbinen bis hin zu verlängerten Betriebszeiten älterer Anlagen. 

Eine vollständige Übersicht aller Projekte mit  Details zu Themen, Laufzeiten und Beteiligten finden Sie auf den Seiten 28 – 29 der W10 Jubiläumsbroschüre »Forschung am Hochtemperaturverhalten warmfester Stähle« oder als Mitglied des Innovations- + Transfernetzwerkes der FVV über die FVV-Projektnummer in der THEMIS-Wissensplattform.

Danksagung

Die FVV dankt der Projektgruppe W10 unter der Leitung von Dr. Martin Reigl (GE Vernova) und Henning Almstedt (Siemens Energy Global) und der Forschungsvereinigung für warmfeste Stähle und Hochtemperaturwerkstoffe FVWHT unter der Leitung von Dr. Stefanie Brockmann (Stahlinstitut VDEh) für ihr Engagement und die langjährige Zusammenarbeit.

Ein besonderer Dank gilt der Forschungsvereinigung der Arbeitsgemeinschaft der Eisen und Metall verarbeitenden Industrie AVIF und der Industriellen Gemeinschaftsforschung IGF des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) für die Förderung, die es kleinen und mittleren Unternehmen ermöglicht, aktiv an der Forschung teilzunehmen und so die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Mittelstands zu sichern.