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Entwicklung eines generischen Brennstoffzellen-Stacks 30.04.2020

Einer für alle!

Die Brennstoffzellenforschung hat in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt und erste kommerzielle Anwendungen ermöglicht. Um die Kosten weiter zu senken, muss nun das Gesamtsystem noch besser zusammenspielen. Ein dafür benötigtes Entwicklungswerkzeug entsteht derzeit im Rahmen eines von der FVV finanzierten Forschungsvorhabens am ZSW in Ulm.

Text: Johannes Winterhagen | Fotografie: Dirk Lässig

»So klein muss der Stapel sein.« Joachim Scholta spreizt Daumen und Zeigefinger. Dann breitet er die Arme aus. »Oder auch so groß.« Der promovierte Physiker forscht seit rund 30 Jahren am Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg, kurz ZSW, in Ulm. Wenn er über sein aktuelles Vorhaben spricht, zeigt er Körpereinsatz. Einen »generischen Brennstoffzellen-Stack« will er entwickeln, eine Art Universalmaschine für die weitere Erforschung und Entwicklung von Brennstoffzellenantrieben.

Dr. Joachim Scholta ist Leiter des Fachgebiets Brennstoffzellen-Stacks am Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) in Ulm. Hier zeigt er einen Stack im Automotive Design.

Um zu erläutern, warum das wichtig ist, holt Scholta etwas aus, berichtet von den großen Fortschritten der letzten Jahrzehnte, die dazu geführt haben, dass einige Automobilhersteller bereits Pilotserien von Brennstoffzellenfahrzeugen bauen. Doch so begeistert der Fachmann vom Energieträger Wasserstoff und dessen Nutzung in der Brennstoffzelle auch ist: Ihm ist bewusst, dass der große Durchbruch erst kommen kann, wenn die Kosten deutlich sinken – oder die Leistungsausbeute pro Zelle, also die Energiedichte, weiter gesteigert werden kann. Und das sei eben nicht nur eine Frage der Zellen selbst, so Scholta, sondern dafür müsse das Gesamtsystem optimiert werden. Auch Verbrennungsmotoren, so weit trägt die Analogie, erzielen ihre hohe Leistungsdichte schließlich nicht nur aus einer optimalen Verbrennung im Zylinder, sondern auch wegen der über Jahrzehnte immer weiter verfeinerten Gemischbildung, vor allem der Aufladung und der Einspritzung.

Ein Film der FVV in Zusammenarbeit mit dem ZSW Ulm.

Ähnlich komplexe Subsysteme weist ein Brennstoffzellen-Antrieb auf, etwa zur Verdichtung der zugeführten Luft oder zu deren Befeuchtung. Obwohl der oft verwendete Sammelbegriff »Peripherie« nebensächlich klingt, haben die Subsysteme nicht nur entscheidenden Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der Zellen, sondern auch auf deren Lebensdauer. So kann eine ungleichmäßige Verteilung des Wasserstoffs an den Zellmembranen zu einer vorzeitigen Alterung führen. Das Problem bei der Entwicklung solcher Komponenten: Getestet werden können sie bislang in der Regel nur an kommerziell erhältlichen Brennstoffzell-Systemen. Deren Hersteller legen – durchaus verständlich – viele Bestandteile ihrer Spezifikation nicht offen, etwa die in den Zellen verwendeten Materialien. Einzelne Testergebnisse sind daher für die weitere Forschung oft nicht übertragbar. Genau hier setzt das von der FVV mit Eigenmitteln geförderte Forschungsvorhaben »Generischer Brennstoffzellenstack« an. Innerhalb des bis Mitte 2020 laufenden Projekts sollen vor allem die Anforderungen an einen solchen Stack definiert werden, die dann in einem möglichen Nachfolgevorhaben anhand eines physischen Prototypen umgesetzt und getestet werden könnten.

Wie der »für alle« nutzbare Stack aussehen soll, definiert Scholta nicht im stillen Kämmerlein. Gemeinsam mit einem Arbeitskreis aus Fachleuten hat er einen mehrseitigen Fragenkatalog entwickelt, der allen FVV-Mitgliedsfirmen zur Verfügung gestellt wird. Denn es sind einige grundsätzliche Fragen zu klären. Die vermutlich wichtigste: Soll der generische Stack mit Bipolarplatten aus Graphit oder aus Metall aufgebaut werden? Die Bipolarplatten sind entscheidende Bauteile, die einerseits als Kathoden dienen, also den Stromtransport ermöglichen, andererseits auf der Anodenseite mit Hilfe eines Katalysators auch für die Aufspaltung des Wasserstoffs sorgen. Für Graphit, kristallinen Kohlenstoff, spricht, dass die Form einschließlich der filigranen Kanäle zur Gasführung präzise gefräst werden kann. Doch das dauert auch mit einer Hochleistungs-Werkzeugmaschine einige Zeit. Für metallische Bipolarplatten können hingegen umformende Produktionsverfahren angewendet werden, die hohe Stückzahlen mit kurzen Taktzeiten ermöglichen – allerdings aufgrund der benötigten Präzision bei Wandstärken von nur einem Zehntel Millimeter Herausforderungen bei der Wiederholgenauigkeit mit sich bringen.

Wir eröffnen damit mittelständischen Unternehmen die Möglichkeit, ihre Komponenten mit High-Tech-Werkzeugen zu testen.

Wenn die Werkstofffrage beantwortet und die übrigen Anforderungen definiert sind, startet die eigentliche Konzeptentwicklung. Da das ZSW für graphitische Bipolarplatten bereits eine eigene Entwicklungsplattform aufgebaut hat, könnte das laufende Vorhaben sogar bereits in einer konkreten Konstruktion münden. Entscheiden sich die FVV-Experten für eine metallische Lösung, steht zunächst ein Zell- und Stackkonzept zur Verfügung. So oder so bräuchte es für eine Hardware-Lösung ein Folgeprojekt, das dann spätestens im Jahr 2023 in jenem Universalstack münden könnte, der von allen Mitgliedsunternehmen der Forschungsvereinigung zu nutzen wäre. Scholta sieht darin eine große Chance gerade für kleinere Automobilzulieferer: »Wir eröffnen damit mittelständischen Unternehmen die Möglichkeit, ihre Komponenten mit High-Tech-Werkzeugen zu testen.« Zudem wäre der generische Stack für weitere Forschungsvorhaben nützlich, in denen eine komplette Simulationswelt für die Brennstoffzelle aufgebaut werden könnte. Denn auch bei der Ausführung eines Brennstoffzellen-Fahrzeugantriebs gibt es noch offene Forschungsfragen, etwa im Zusammenspiel mit der Hochvoltbatterie an Bord.

Nach einem Rundgang durch die Werkstätten verabschiedet Scholta seine Besucher an der Wasserstoff-Tankstelle vor dem Haus. »Funktioniert seit Jahren tadellos«, sagt er. Und fügt mit einem Schmunzeln hinzu: Allein der Kartenleser sei ab und an defekt, dann könne man aber kostenlos tanken. Innerhalb weniger Minuten sei so ausreichend Energie für die Heimfahrt an Bord.

Seit 2009 Leiter des Fachgebiets Brennstoffzellen Stacks (ECB). 1989 bis 2008 Wissenschaftler am Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) in Ulm im Bereich der Nieder- und Mitteltemperatur-Brennstoffzellen. Bis 1993 Promotion an der Technische Universität Darmstadt im Bereich der Phosphorsäure-Brennstoffzelle.

Arbeitsschwerpunkte: Polymermembran-Brennstoffzellen (PEMFC), Brennstoffzellen-Komponenten und –Systeme. Weitere Themen: DMFC, PAFC, Charakterisierung von Brennstoffzellen (BZ) und BZ-Komponenten, auch mittels Neutronen- und Röntgenstrahlen.

Sonnenenergie- und Wasserstoff-Technologien wachsen derzeit im industriellen Maßstab zu Bausteinen einer nachhaltigen Energieversorgung des 21. Jahrhunderts heran. Schon 1988 gründete das Land Baden-Württemberg zusammen mit Universitäten, Forschungseinrichtungen und Unternehmen das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) als gemeinnützige Stiftung des bürgerlichen Rechts. Heute ist das ZSW mit rund 280 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern plus 100 studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräften als eines der führenden europäischen Energieforschungsinstitute etabliert. Joint-Ventures und der wachsende Anteil von Industrieaufträgen demonstrieren die konsequente Anwendungsnähe.