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Ein Interview mit Christopher Steinwachs 01.09.2020

Versorgungssicherheit langfristig und kosteneffizient

Welche Rolle Gasturbinen und andere Turbomaschinen in der Energiewelt der Zukunft spielen, erklärt der stellvertretende Vorsitzende des Vorstands der FVV, Christopher Steinwachs, bei Siemens Energy verantwortlich für das weltweite Produktionsnetzwerk von Heißgaskomponenten für Gasturbinen.

Interview: Mathias Heerwagen | Fotografie: Dirk Lässig

Herr Steinwachs, im ersten Quartal 2020 wurde in Deutschland mehr Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt als mit konventionellen Energieträgern. Wie beurteilen Sie das als Ingenieur und Turbomaschinenbauer?

Grundsätzlich ist die Transformation des Energiesektors der absolut richtige Schritt. Aber um die Klimaziele zu erreichen und im Jahr 2050 komplett CO2-neutral zu sein, werden neben Windturbinen und PV-Modulen weitere Technologien benötigt. Sonne und Wind stehen nicht immer zur Verfügung, also muss Energie gespeichert werden, etwa chemisch oder in Batterien. Um die Versorgungssicherheit langfristig und kosteneffizient sicherzustellen, muss man sich andere Dinge einfallen lassen. Da spielt die Turbomaschine aus meiner Sicht weiterhin eine entscheidende Rolle.

Der Energiesektor ist also geprägt von erneuerbarer Energie. Wie wirkt sich das auf die Betriebsweise von Gasturbinen aus?

Die Anlagen werden wesentlich zyklischer betrieben als bisher. Selbst große 800-Megawatt-Blöcke mit Kraft-Wärme-Kopplung werden mehrmals am Tag hoch- und runtergefahren. Das ist in Deutschland schon heute der Fall. Daher müssen wir die Gas- und Dampfturbinen auf eine zyklische Beanspruchung auslegen, die größer ist als noch vor einigen Jahren, als Turbinen viele tausend Stunden im Jahr Grundlast liefen. Bei der Entwicklung kann man dann zum Beispiel auf andere kostengünstigere Materialien gehen. Denn wenn künftig deutlich weniger Betriebsstunden gefahren werden, etwa nur noch 1.000 statt 8.000 Stunden im Jahr, werden Investitionskosten eine noch wichtigere Rolle spielen.

Künftig werden Gasturbinen nicht nur zyklischer betrieben, sondern auch mit synthetischen Brennstoffen. Welche technischen Änderungen sind für den Betrieb mit Wasserstoff nötig?

Wasserstoff verbrennt mit einer etwa dreifach höheren Flammengeschwindigkeit als Methan, und die Zeit bis zur Selbstzündung ist etwa dreimal so kurz bei gegebener Temperatur. Man muss sicherstellen, dass die Verbrennung nicht instabil wird und nicht zu nah an den metallischen Wänden abläuft, weil sonst die Brennkammer beschädigt werden kann. Das ist eine große Herausforderung, besonders bei hohen Wasserstoffanteilen. Und natürlich müssen auch die Emissionsgrenzwerte eingehalten werden.

Welche Erfahrungen liegen für den partiellen oder vollständigen Betrieb mit Wasserstoff vor?

Dem Brennstoff für die großen Gasturbinen, üblicherweise Erdgas, können wir schon bei den aktuellen Turbinen im Neuanlagenportfolio bis zu 30 Prozent Wasserstoff beimischen. Wir haben kürzlich kommerzielle Anlagen verkauft, die so betrieben werden. Bei Anteilen von mehr als 50 Prozent spielen zunehmend die Themen Flammengeschwindigkeit, Selbstzündungszeitpunkt und Emissionen eine Rolle, daran arbeiten wir. Aber der Entwicklungsaufwand und die Kosten, um einen höheren  asserstoffanteil zu ermöglichen, sind nicht linear. Der Aufwand, um von 70 auf 100 Prozent zu kommen, ist exponentiell größer verglichen mit dem Sprung von 30 auf 50 Prozent. Wir haben uns im Rahmen der ›EUTurbines‹ – dem europäischen Verband der Turbinenhersteller – verpflichtet, 100 Prozent Wasserstoffverbrennung in unseren Maschinen bis zum Jahr 2030 zu realisieren. Dazu stehen wir!

In der vorwettbewerblichen Forschung tauschen wir Ideen aus und erreichen gemeinsam oft schneller ein Ergebnis.

Stehen denn überhaupt so große Mengen Wasserstoff – regenerativ erzeugt – zur Verfügung?

Das ist tatsächlich ein Problem. Siemens Energy möchte, wie gesagt, seine Gasturbinen bis 2030 auf 100 Prozent Wasserstoff umstellen. Die Roadmap ist so ausgelegt, dass wir mit den kleineren Turbinen beginnen, weil für die größeren Maschinen zurzeit noch nicht genügend Wasserstoff bereitgestellt werden kann. Die Volumenströme in den großen Maschinen sind enorm – eine 350-Megawatt-Gasturbine saugt pro Sekunde etwa eine Tonne Luft an, für die Brennstoff bereitstehen muss. Mit grünem Wasserstoff ist das vorerst nicht möglich. Für den reinen Wasserstoffbetrieb wird man ohnehin zuerst kleinere Gasturbinen verwenden, etwa solche mit einer Leistung von 25 Megawatt. Das sind Größenordnungen, für die heute schon Wasserstoff bereitgestellt werden kann.

Bleibt unter diesen Voraussetzungen der maximale Wirkungsgrad das vorrangige Entwicklungsziel?

Wir haben 2008 in Irsching ein kombiniertes Gas- / Dampfturbinenkraftwerk in Betrieb genommen mit einem elektrischen Wirkungsgrad von 60,75 Prozent – das war damals Weltrekord. Jetzt, zehn Jahre später, liegen die elektrischen Wirkungsgrade eines solchen Kraftwerks bei circa 63 Prozent. Wirkungsgradsteigerungen sind sehr forschungsintensiv, um weitere, relativ geringe Steigerungen  zu erreichen. Neben dem Wirkungsgrad gibt es noch weitere sehr wichtige Parameter, die wir kontinuierlich gegeneinander abwägen, um den Kundennutzen zu maximieren. Es ist also ein wichtiges Entwicklungsziel – neben weiteren.

Was sind für Sie die weiteren Forschungs- und Entwicklungsziele?

Vor allem, dass wir einen noch flexibleren Betrieb mit 100 Prozent Wasserstoff ermöglichen und dabei auch die NOx-Emissionsgrenzwerte einhalten. Und natürlich die Entwicklung hinsichtlich der zyklischen Beanspruchung, die größer ist als vor einigen Jahren.

Was kann und was sollte die Industrielle Gemeinschaftsforschung dazu beitragen?

Wir arbeiten dabei eng zusammen, unter anderem mit den Herstellern von Flugzeugtriebwerken wie Rolls-Royce und MTU. Da geht es um vorwettbewerbliche Forschung, etwa um die richtigen Materialien für die Verbrennung von Wasserstoff, oder um die Verbrennungsstabilität. Und auch um additive Fertigung. Das sind Themen, die wir in Europa nach vorne bringen müssen. Daneben sind klassische Themen wie etwa die Auslegung von Turbinenschaufeln hinsichtlich Schwingungen weiterhin absolut wichtig. Die gilt es im Bereich der vorwettbewerblichen Forschung bei der FVV einzubringen.

Welchen Stellenwert hat die Arbeit der FVV für Sie?

In dieser vorwettbewerblichen Forschung tauschen wir Ideen aus und erreichen gemeinsam oft schneller ein Ergebnis, als es uns allein möglich wäre. Wir haben Zugriff auf wichtige Forschungsergebnisse, die wir sonst nicht hätten. Und was die FVV wirklich gut macht, wovon wir auch profitiert haben, das ist die Zusammenarbeit mit den Universitäten. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, um Nachwuchs zu gewinnen.

Sie sind seit Ende 2019 stellvertretender Vorsitzender des FVV-Vorstands. Wie sind Ihre Erfahrungen bisher?

Leider gibt es aufgrund der Corona-Krise nur noch Videokonferenzen. In einem Unternehmen funktioniert das in vielen Bereichen sehr gut. Aber in einem Verbund, in dem man sich sonst nicht sieht außer an zwei, drei Terminen im Jahr, ist der persönliche Kontakt wichtig. Ich hoffe, dass das bald wieder möglich sein wird.

Herr Steinwachs, herzlichen Dank für das Gespräch. //

Dipl-Ing. Christopher Steinwachs ist bei Siemens Energy seit August 2019 verantwortlich für das weltweite Produktionsnetzwerk von Heißgaskomponenten für Gasturbinen. Zuvor leitete er die globale Forschungs- und Entwicklungsorganisation für alle Gas- und Dampfturbinen sowie Generatoren von Siemens.

Steinwachs arbeitet seit 1992 bei Siemens, seit 2016 gehört er zum Vorstand der FVV. Im November 2019 wurde er zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.