Versorgungssicherheit langfristig und kosteneffizient
Christopher Steinwachs, Vice President Vanes & Blades bei Siemens Energy Gas Services, ist stellvertretender Vorsitzender der FVV. Im Interview erklärt er, welche Rolle Gasturbinen und andere Turbomaschinen in der Energiewelt der Zukunft spielen werden.
Herr Steinwachs, welche Herausforderungen bringt die Energiewende für Siemens Energy mit sich, und was hat sich seit dem letzten Gespräch vor vier Jahren geändert?
Zunächst einmal hat sich am Anfang dieses Zeitraumes der Gasturbinenmarkt rückläufig entwickelt. 2020 und davor wurden global insgesamt weniger als circa 80 Gasturbinen mit mehr als 100 MW Leistung verkauft. Weltweit wurden Produktionskapazitäten angepasst, die wir heute aber wieder dringend brauchen. Denn in diesem Zeitraum schritt der weltweite Ausbau der Erneuerbaren wie Photovoltaik und Windkraft massiv voran, und damit auch der Residuallastbedarf, sodass konventionelle Kraftwerke einspringen müssen. In den meisten Ländern sind es Gaskraftwerke, die diese Funktion übernehmen, allerdings – je nach Land – auch wieder vermehrt Atomkraftwerke. Heute haben wir etwa 150 Gasturbinen über 100 MW pro Jahr im Markt.
Ansonsten: Wir bauen keine Kohlekraftwerke mehr, dafür wird das Geschäft mit Stromnetzen immer wichtiger, auch für Offshore-Windparks, und wir bauen das Wasserstoffgeschäft aus, ebenso die Windkraftsparte mit Siemens Gamesa. Unser Gasturbinenportfolio stellen wir sukzessive auf den Betrieb mit treibhausgasneutralen Brennstoffen wie Wasserstoff um.
An der Umstellung auf partiellen oder vollständigen Betrieb mit Wasserstoff arbeitet Siemens Energy schon länger. Welche Fortschritte haben Sie gemacht?
Je nach Gasturbinentyp bieten wir schon heute die Möglichkeit, bis zu 70 Prozent Wasserstoff beizumischen. 100 Prozent Wasserstoff zu verbrennen, stellt jedoch eine große Herausforderung dar. Der Brennstoff hat eine niedrigere volumetrische Energiedichte, wir müssen viel mehr Brenngas in die Turbinen führen, es gibt sehr hohe Flammengeschwindigkeiten – all das zu berücksichtigen und in einer großen Turbine zuverlässig zu realisieren, ist sehr komplex. Aber: In Frankreich hat Siemens Energy im Rahmen einer Versuchsanlage mit einer SGT-400 Gasturbine, die etwa 12 MW elektrisch produziert, erstmals den Betrieb mit 100 Prozent Wasserstoff im sogenannten Dry-Low-Nox-Verfahren ohne Wasserbeimischung durchgeführt, und das ist ein sehr großer Erfolg.
Siemens Energy hat sich im Rahmen der ›EUTurbines‹ – dem europäischen Verband der Turbinenhersteller – verpflichtet, in Gasturbinen 100 Prozent Wasserstoffverbrennung bis zum Jahr 2030 zu realisieren. Wie ist der aktuelle Stand?
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir den Zeitplan halten können. Schon heute können wir unsere großen Gasturbinen der HL-Klasse mit 50 Prozent Wasserstoffbeimischung anbieten und bauen auch Gaskraftwerke mit 100 Prozent ›H2-Readyness‹, bei denen die Anlage schon vorgerüstet ist, um zu einem späteren Zeitpunkt 100 Prozent Wasserstoff verbrennen zu können. Ob bis dahin entsprechende Wasserstoff-Pipelinenetze und die erforderlichen Mengen an nachhaltigem Wasserstoff zur Verfügung stehen, ist eine andere Frage. Kraftwerke werden für einen Betriebszeitraum von etwa 30 Jahren geplant, und damit müssen heute zu bauende Kraftwerke die Umrüstung auf Wasserstoff einplanen. Wir erwarten schon in den nächsten Jahren die ersten Gasturbinenmodelle mit 100 Prozent Wasserstoffverbrennung kommerziell im Markt anzubieten.
Was sind neben einem bestmöglichen Wirkungsgrad weitere wichtige Forschungs- und Entwicklungsziele, und in welcher Hinsicht haben sich die in den vergangenen Jahren geändert?
Die meisten großen Gasturbinen werden heute immer noch für den Einsatz in Gas- und Dampfkraftwerken (GuD) verkauft. Diese Turbinen laufen recht viele Betriebsstunden im Jahr, und bei solchen Anlagen macht ein Wirkungsgradunterschied von 0,5 Prozent auf die lange Laufzeit gesehen riesige Summen aus – der Wirkungsgrad bleibt also sehr wichtig. Es gibt jedoch auch Gasturbinenkraftwerke für Spitzenlastanwendungen, die nur für einige hundert Stunden im Jahr zum Einsatz kommen, bei denen ist beispielsweise die Startzuverlässigkeit extrem wichtig. Viele Gasturbinen werde heute auch oft im Teillastbereich betrieben, Ziel ist daher auch ein guter Teillastwirkungsgrad, den wir garantieren und bei der Abnahme nachweisen müssen. Im zyklischen Betrieb sind die Belastungen groß: die Turbine fährt hoch auf Grundlast, runter auf Teillast, kühlt wieder ab, da muss man das Design und die Servicekonzepte entsprechend anpassen. All das sind neue Anforderungen, die es vor einigen Jahren in dem Ausmaß nicht gab.
Solange Wasserstoff nicht in den nötigen Mengen zur Verfügung steht und man weiterhin Erdgas verbrennt, entsteht Kohlendioxid. Ist eine CO2-Abscheidung bereits technisch machbar und wo sehen Sie Chancen und Herausforderungen?
Man kann das CO2 vor der Verbrennung aus dem Brennstoff abscheiden und arbeitet dann mit ›sustainable fuel‹, zum Beispiel Wasserstoff. Bei der Abscheidung nach der Verbrennung wird das Kohlendioxid anschließend in den Boden gepresst beziehungsweise in Kavernen gespeichert, in den Niederlanden ist das bereits der Fall. Auch in den USA wird in großem Stil daran geforscht. Das ist aber technisch aufwendig, verbraucht viel Energie und lässt dadurch den Gesamtwirkungsgrad schlechter werden.
Wie geht es besser?
Gemeinsam mit 8Rivers, einer Technologiefirma in den USA, entwickeln wir eine neuartige Turbine, die nach dem Allam-Fetvedt-Zyklus arbeitet. In diesem Zyklus ist CO2 das eigentliche Arbeitsmedium und nicht Dampf, wie in einer Dampfturbine. Erdgas wird hier mit reinem Sauerstoff verbrannt, in einer Turbine entspannt, und die Verbrennungsprodukte sind lediglich CO2 und Wasser. Überschüssiges CO2 und Wasser werden dann in flüssiger Form abgeschieden und es gelangen keine klimaschädlichen Gase in die Atmosphäre. Ich bin sehr zuversichtlich, dass sich diese Technologie in der Zukunft durchsetzen wird.
Was kann die Industrielle Gemeinschaftsforschung dazu beitragen?
Sie sind seit Ende 2019 stellvertretender Vorsitzender des FVV-Vorstands. Wie sind Ihre Erfahrungen bisher und was wünschen Sie sich für die Zukunft der FVV?
In den vergangenen Jahren sind in der FVV viele Themen hinzugekommen, entsprechend wurde die Struktur der Projektgruppen angepasst. Im Automobilbereich geht es nun auch um batterieelektrische Antriebe, um Wasserstoffverbrennung und E-Fuels, es beteiligen sich viele Unternehmen, um unter dem Stichwort Technologieoffenheit ihre Themen einzubringen. Das ist toll! Und diese Technologieoffenheit zahlt sich für die Mitgliedsunternehmen aus. Siemens Energy schaut beispielsweise, wie sich die Wasserstoffverbrennung optimieren lässt oder wie sich Materialien unter einer Wasserstoffatmosphäre verhalten; das ist sehr wichtiger Input für die weitere Produktentwicklung.
Wo besteht noch Verbesserungsbedarf?
Wir müssen den Nutzen der Industriellen Gemeinschaftsforschung noch besser kommunizieren, und zwar bis ganz oben in die Unternehmen. Damit bekannt ist, woran gerade geforscht wird und welchen Nutzen die wissenschaftlichen Ergebnisse für ein Unternehmen aber auch für die Gesellschaft haben. Es gibt viele sehr gute FVV-Studien, die FVV hat sich toll angepasst, und nun müssen wir aus technologischer Sicht die jeweiligen Vor- und Nachteile der möglichen Optionen stärker aufzeigen.
Auch der Kontakt zu Universitäten ist enorm wichtig, wird aber oft unterschätzt, obwohl man mit den Studenten zukünftiges Personal gewinnen kann. Wir müssten auch schneller Entscheidungen treffen, etwa zu Förderanträgen, aber leider ist alles sehr viel bürokratischer geworden als noch vor einigen Jahren. Die Träger entscheiden recht langsam.
Wenn wir uns in vier Jahren erneut unterhalten, was wird sich für die FVV geändert haben?
Trotz aller Neuerungen und der Technologieoffenheit haben Turbomaschinen international weiterhin eine Zukunft, und die FVV wird weiterhin an herausfordernden Projekten arbeiten. Mittlerweile haben wir große Mitgliedsunternehmen aus dem Ausland und ich bin fest davon überzeugt, dass wir noch mehr internationale Mitglieder haben werden, wenn sie den Nutzen der Gemeinschaftsforschung erkennen. Firmen suchen zunehmend F&E-Kooperationen, um Produkte günstiger und vor allem schneller zu entwickeln.
Was glauben Sie wird sich für Siemens Energy ändern?
Auch wir profitieren von der Gemeinschaftsforschung: Neue Produkte werden schneller auf den Markt kommen und wir werden mit der Wasserstoffverbrennung bei den Gasturbinen deutlich weiter sein. Ich persönlich bin überzeugt davon, dass wir in den wichtigsten Produkten, wie unseren F- und HL-Klassen und auch den Industriegasturbinen, dann 100 Prozent Wasserstoff verbrennen können. Ich glaube auch, dass Gasturbinen weiter ein sehr wichtiger Baustein der Energiewende sein werden, dann aber dekarbonisiert zur Abdeckung der Residuallast, also den Stunden und Jahreszeiten, wenn nicht genug Solar- und Windenergie zur Verfügung steht. //
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