06.11.2020

Schneller Druckanstieg: FVV verstärkt Wasserstoffforschung

Die Forschungsvereinigung FVV weitet die vorwettbewerbliche Industrielle Gemeinschaftsforschung (IGF) an wasserstoffbetriebenen Verbrennungskraftmaschinen und Brennstoffzellen erheblich aus. Zwölf neu initiierte Vorhaben ergänzen die bereits laufende Forschung und sollen so die Umsetzung der deutschen und der europäischen Wasserstoffstrategie beschleunigen. Ziel der Forschungsvereinigung ist es, die Defossilisierung der kompletten Energiekette voranzutreiben.

Science for a moving society // Frankfurt am Main. Regenerativ hergestellter Wasserstoff eignet sich als Energieträger nicht nur für die Brennstoffzelle. Er kann auch direkt in Verbrennungsmotoren und Gasturbinen genutzt werden. Allerdings unterscheiden sich die chemischen Eigenschaften des Wasserstoffs signifikant von jenen, die fossile Brenn-, Kraft- und Treibstoffe charakterisieren. Deshalb ist eine technische Anpassung von Verbrennungsmotoren und Turbomaschinen notwendig. Mit einem Dutzend neuer Forschungsvorhaben will die FVV dafür die wissenschaftlichen Grundlagen schaffen.

Nutzfahrzeuge

Beispielhaft ist ein Vorhaben, das am Institut für Kolbenmaschinen (IFKM) des Karlsruher Instituts für Technologie durchgeführt werden soll. Es untersucht das Potenzial künftiger Brennverfahren am Beispiel schwerer Nutzfahrzeuge. Zunächst wird der Wasserstoff dazu in das Saugrohr des Motors eingeblasen und nach einem Umbau des Motors dann direkt in den Zylinder. Dadurch kann der Einfluss der Gemischbildung auf die Wasserstoffverbrennung untersucht werden. Besonderen Schwerpunkt wollen die Forscher auf den Zielkonflikt zwischen hoher Leistungsdichte und einer unkontrollierten Selbstzündung des Gemisches legen. Zudem soll die Verbrennung so effizient und so schadstoffarm wie möglich gestaltet werden. Institutsleiter Prof. Dr. Thomas Koch sieht Wasserstoffmotoren als große Chance: »Wir setzen auf dem Wissen auf, das wir in Deutschland bereits haben und entwickeln es – unter anderem durch die Arbeit in der FVV – weiter.«

Hohe Chancen werden Wasserstoffmotoren vor allem in Nutzfahrzeugen für den Straßen- und den Offroad-Betrieb eingeräumt. Doch wie sieht der ideale Wasserstoff-Antriebsstrang für einen Schwerlast-Lkw oder einen Bagger aus? Diese Frage soll ein weiteres umfangreiches Forschungsvorhaben beantworten. Brennstoffzelle und Wasserstoffverbrennung im Hubkolbenmotor kommen als alternative Antriebe in Frage, haben jedoch je nach Anwendung und Arbeitszyklus andere Vor- und Nachteile. Innerhalb des Projekts werden die technischen Optionen für unterschiedliche Anwendungen und Zyklen simuliert und eine Bewertungsmatrix erstellt. Auf dieser Basis sollen zukünftige Technologie-Roadmaps für Nutzfahrzeugantriebe entstehen sowie die technischen Herausforderungen der neuen Konzepte benannt werden. Darüber hinaus werden in diesem Vorhaben das Verbrennungsverhalten für Motoren mit Wasserstoff-Direkteinblasung detailliert untersucht sowie entsprechende dreidimensionale Simulationsmodelle erstellt. Damit schafft die FVV die Voraussetzung für eine schnelle Industrialisierung von Wasserstoff-Nutzfahrzeugantrieben.

Schifffahrt

In der Schifffahrt stellt die Einführung nicht-fossiler Energieträger eine besondere Herausforderung dar, da im Langstreckenverkehr sehr hohe Energiemengen und -speicherdichten benötigt werden. Deshalb wird in der Branche eine Weiterverarbeitung des regenerativ erzeugten Wasserstoffs zu Ammoniak intensiv diskutiert. Flüssiger Wasserstoff hingegen kann auf Grund der niedrigen Siedetemperatur nicht dauerhaft gelagert werden und ist somit für den Transport über lange Strecken weniger gut geeignet. Besser geeignet hierfür ist Ammoniak, der auch als Ausgangsstoff für Wasserstoff dient. NH3 ist bei Raumtemperatur schon bei einem Druck von mehr als 9 Bar flüssig und daher einfach zu lagern und zu transportieren. Allerdings gibt es hinsichtlich der Nutzung in Großmotoren noch viele offene Fragen. So ist etwa die Zündenergie rund 50-mal höher als bei Methan. In einem neuen Vorhaben will die FVV daher sowohl die grundsätzliche Eignung von Ammoniak als Zukunftstreibstoff als auch die Randbedingung für die motorische Verbrennung untersuchen. Parallel soll eine Lebenszyklusanalyse vorgenommen werden, die Ammoniak mit anderen regenerativ erzeugten Kraftstoffen vergleicht.

Flugverkehr

Als Energieträger für einen nachhaltigen Flugverkehr werden vorrangig strombasierte Flüssigkraftstoffe diskutiert, neuerdings aber auch die direkte Nutzung von Wasserstoff. Analog zu den Motoren müssen aber auch Turbinen auf den neuen Brennstoff ausgelegt werden. »In der FVV profitieren wir dabei davon, dass die Forschung an stationären Gasturbinen und an Flugturbinen eng vernetzt erfolgt«, sagt Dr. Dirk Hilberg, Technologiemanager bei Rolls-Royce Deutschland und stellvertretender Leiter des Wissenschaftlichen Beirats der FVV. So sind bereits in der Vergangenheit immer wieder Vorhaben zum Einfluss der Wasserstoffbeimischung durchgeführt worden. »Ich bin überzeugt davon, dass Wasserstoff und andere alternative Brenn- und Treibstoffe die Forschung an Turbinen in der Zukunft maßgeblich bestimmen wird«, so Hilberg.

Brennstoffzelle

Ohnehin mit Wasserstoff arbeitet die Brennstoffzelle. Seit 2017 konzentriert die FVV alle Brennstoffzellen-Aktivitäten in einer eigenständigen Planungsgruppe. Die kann nun erste Erfolge vorweisen: Mit dem ›Generischen Brennstoffzellen-Stack‹ wurde Ende September ein wegweisendes Vorhaben abgeschlossen. Erstmals steht ein Konzept für einen herstellerneutralen Prüfling zur Verfügung. Ein solcher Stack, vergleichbar den Einzylinderaggregaten in der Motorenforschung, ist die Basis für vorwettbewerbliche Zusammenarbeit bei Komponenten und Systemen, die insbesondere der mittelständischen Zulieferindustrie nutzt. In einem Folgevorhaben soll auf Basis des Konzepts nun ein realer Prüfstand entstehen.

Alternative Energieträger

Die FVV fokussiert sich aber nicht ausschließlich auf wasserstoffbetriebene Energiewandler, sondern erforscht auch den Betrieb von Verbrennungskraftmaschinen mit anderen regenerativen Energieträgern. Zudem spielt die Effizienzsteigerung von Verbrennungsmotoren, etwa durch Hybridkonzepte, eine wichtige Rolle im Forschungsportfolio. »Wir betrachten immer die komplette Lebenszyklusbilanz von Energieträgern, -speichern und -wandlern«, sagt FVV-Geschäftsführer Dietmar Goericke. »Dabei ist uns auch ein gesamtheitlicher Vergleich der Energieeffizienz unterschiedlicher Antriebsalternativen entlang der gesamten Wertschöpfungskette wichtig. Die Transformation des Energie- und Verkehrssystems braucht eine verlässliche wissenschaftliche Basis zur Bewertung aller klimazielkonformen Technologien.«

Planungsgruppe 1 »Gesamtsystem«

  • CO2-neutrale Langstrecken-NFZ-Antriebe 2050 II: Studie zu CO2-Emissionen, Energieverbrauch und Kosten von Langstrecken-LKW mit SOFC, H2-VKM, verbrauchsoptimiertem Hybridkonzept unter Berücksichtigung zukünftiger Energiebereitstellung für 2050 | M0920
  • Neues Wasserstoffspeicher-Konzept mit Nutzung der Freiheitsgrade neuer Technologien und Materialien | M3320

  • H2 im Gasnetz: Entwicklung eines Markthochlaufs auf Basis von Szenarien zur Erhöhung der Wasserstoffkonzentration im Gasnetz und Darstellung von Lösungsansätzen in der Gaswirtschaft und der Automobilindustrie zur Erhaltung der CNG-Motorintegrität sowie deren wirtschaftliche Bewertung | 1384

Planungsgruppe 2 »Fremdzündung«

  • DI-Wasserstoff-Brennverfahren: Wirkungsgradoptimales Brennverfahren für wasserstoffbasierte Kraftstoffe | M0220

  • Hocheffizienter H2-Ottomotor mit Direkteinblasung: Thermodynamisches Potenzial eines monovalenten H2-Ottomotors mit Direkteinblasung und Abgasturboaufladung für Antriebe von PKW und leichten Nutzfahrzeugen | M0820

Planungsgruppe 3 »Selbstzündung«

  • Wasserstoffverbrennung & Vergleich SI/CI Konzepte: Untersuchung der Charakteristiken der Wasserstoffverbrennung und Vergleich zwischen SI- und CI-Verbrennungsk onzepten für HD-Anwendungen | M1020

  • NH3-Brennverfahren für Großmotoren: Experimentelle und numerische Analyse von Brennverfahren für Ammoniak als CO2-neutralem Kraftstoff | M1120

  • Vergleich und Weiterentwicklung zukünftiger Nutzfahrzeug-Wasserstoff-Antriebssysteme | M3120

  • Ammoniak als Zukunftskraftstoff: Lebenszyklus-Analyse von NH3 als kohlenstoffneutralem Brennstoff | M4020

  • Potenzialanalyse eines selbstgezündeten Wasserstoffmotors im geschlossenen Arbeitsgas-Kreislauf | 1405

Planungsgruppe 4 »Gestaltfestigkeit & Tribologie«

  • Gasförmige H2-Inhibitoren: Einfluss von Inhibitoren im Wasserstoffgas, insbesondere Sauerstoff, auf das mechanische Verhalten von Stählen | M0119

  • Grundmotorkomponenten für H2-ICEs: Untersuchung der Einflüsse verschiedener ottomotorischer Brennverfahren auf der Basis von Wasserstoff auf Motorkomponentensysteme hinsichtlich ihrer Verschleiß- und Robustheitsanforderungen | M0420

Planungsgruppe 5 »Motordynamik& -akustik«

  • Verbrennungsgeräusch H2-Hubkolbenmotor: Verbrennungsgeräusch-anregung des H2-Hubkolbenmotors im Vergleich zu Benzin und Diesel | M3820

  • NVH Brennstoffzelle: Herausforderungen und Lösungen für das NVH-Verhalten von Fahrzeugen mit Brennstoffzelle | M3920

Planungsgruppe 6 »Emission & Immission«

  • Niedrigstemissionskonzept für H2-DI-Ottomotor: Niedrigstemissions-konzept für einen monovalenten H2-Ottomotor mit Direkteinblasung und Abgasturboaufladung für Antriebe von PKW und leichten Nutzfahrzeugen | M0720

  • Hochtemperatur-H2-DeNOX an H2-DI-Ottomotoren: Hochtemperatur-NOX-Minderung mittels H2 im Abgas von monovalenten H2-DI-Ottomotoren | M2420

FVV-Mitglieder finden weiterführende Informationen zu den einzelnen Forschungsvorhaben auf unserer THEMIS-Wissensplattform.